Ein Museum auf Besuchsreise

Wenn das Jüdische Museum Berlin durch deutsche Schulen tourt, dann geht es immer auch um Antisemitismus. Bisweilen ganz offen und feindselig, manchmal aber auch aufgeklärt und nüchtern

Ekaterina Kaufmann: „Ich bin stolz, einen jüdischen Namen zu tragen“

von Jan Zier

Nein, „Antisemitismus“ ist am Kippenberg-Gymnasium in Schwachhausen kein Thema. Jedenfalls nicht in jener zehnten Klasse, die am Freitag gerade das Jüdische Museum Berlin (JMB) zu Besuch hatte. Routiniert weiß ein Schüler den Begriff zu erklären, mit einem Verweis auf die Antike, die Religion, die Rassegesetze der Nazis. Nein, böse Zwischentöne kommen hier ganz bestimmt nicht auf.

Im Schulzentrum an der Julius-Brecht-Allee in der Vahr klang das noch ganz anders. Auch dort war das JMB in der vergangenen Woche „on tour“, um mit einer Wanderausstellung und Workshops unter dem zweideutigen Motto „So einfach war das“ die Geschichte der Juden im Nachkriegsdeutschland zu erzählen. Und dann schallten sie über den Hof, die antisemitischen, die faschistischen Sprüche, erzählt Ivana Scharf, beim JMB für das Bildungsmarketing verantwortlich. Von wem sie kamen, ließ sich am Ende nicht mehr herausfinden. Der Rufer verschwand in der Menge. Ein Gespräch mit der Schulleitung soll noch folgen. Erfahrungen wie diese hat Scharf auf ihrer derzeit laufenden Deutschland-Tour durch fünf Bundesländer schon einmal gemacht: An einem Gymnasium in Rheinland-Pfalz.

Dabei waren es keineswegs die aussterbenden jüdischen Zeitzeugen, die hier vergangene Woche in fünf verschiedenen bremischen Schulen zu Besuch kamen. Und es sollte auch nicht immer nur um das Dritte Reich und die Nazis gehen. „Wie alt die jüdische Geschichte in Deutschland sei“, lautet die erste Frage an die SchülerInnen. „800“ wirft einer daraufhin ein, „Karl der Große“. Kaiserkrönung, sie wissen schon. „Viertes Jahrhundert“ ist die Antwort. „Die jüdische Geschichte beginnt vor der deutschen“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Dörte Deimig vom JMB. Und diese Geschichte wollte sie nun zu jenen bringen, die bislang nicht selbst nach Berlin ins Museum kamen.

Es geht dabei um Geschichten wie die von Ekaterina Kaufmann, einer Musikerin aus Leipzig, 1981 in St. Petersburg geboren. Gleich nach der Wende kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, landete hier in einem Auffanglager für Russen jüdischer Abstammung. Eine Welle des Antisemitismus hatte sie aus der damaligen Sowjetunion vertrieben. Und die deutschen Behörden tauften sie kurzerhand in Katja Kaufmann um. Ein Versehen. Doch bis sie 16 war, hatte sich ihr Name schon viermal geändert. „Ich fühlte mich des letzten Funkens Heimat beraubt“, erzählt sie. Und dass sie „stolz“ sei, den jüdischen Namen ihres Vaters zu tragen. „Ich konnte mich damit gut identifizieren.“ Ihrer Erzählung können die SchülerInnen auf einem iPod nachhorchen. Dem Original von Apple. Keinem schnöden mp3-Player. So etwas kommt hier besonders gut an.

Gut fünf Lebensgeschichten werden an diesem Morgen vom JMB präsentiert, in Kleingruppen aufgearbeitet, anschließend der Klasse vorgetragen. „Auf diese Weise kann man das Gelernte gleich wiedergeben“, wird einer der Schüler hinterher sagen. Was er denn gelernt hat, will seine Lehrerin wissen, Frau Horstmann. Na ja, zum Beispiel wie sehr die Juden auch lange nach dem zweiten Weltkrieg noch Anfeindungen seitens der Deutschen ausgesetzt sind, antwortet er.

So wie etwa der Vater von Andrzej Bodek. Einst hatte der den von den Nazis organisierten Todesmarsch nach Auschwitz überlebt. Und nach 1973 zwölf Jahre lang für den Gewerkschaftskonzern „Neue Heimat“ gearbeitet. 1980 fanden sich die ersten Aschenbecher vor seiner Bürotür, dazu Briefkuverts im Postfach, mit selbst gebastelten Miniaturschlingen. „Dich hat man vergessen zu vergasen“, stand in den beiliegenden Briefen zu lesen. 1985 kündigt Bodek. Kurz darauf muss die „Neue Heimat“ Konkurs anmelden, bietet ihren MitarbeiterInnen aber fünfstellige Summen für vorzeitiges Ausscheiden an. Bodek bekommt keine Mark. Wenige Jahre später stirbt er. Und sein Sohn spricht heute von der „Aussichtslosigkeit der Suche nach einer neuen Heimat“.

Die drei Schüler vom Kippenberg-Gymnasium tragen die Geschichte im ruhigen Ton vor, sachlich, nüchtern, nachrichtlich. Bis Frau Horstmann dazwischengeht. „Ein Skandal“ sei das, empört sie sich, schimpft dabei auf den untergegangenen Gewerkschaftskonzern. „Ich könnte das nicht so gelassen erzählen wie ihr.“