Dem Himmel zu nah

NAHOST Der Tempelberg in Jerusalem ist nur etwas größer als ein Einkaufszentrum. Viel zu klein für all die Ansprüche, die auf ihm lasten. Ein Überblick

■ Das Gebäude: Der Felsendom ist der älteste Sakralbau des Islam. Seine goldene Kuppel überwölbt den Felsen, der für Juden wie Muslime gleichermaßen wichtig ist. Es wird vermutet, dass sich dort im Jüdischen Tempel die Bundeslade befand, in der die Steintafeln mit den zehn Geboten verwahrt wurden. Einen Existenzbeweis aber gibt es nicht.

VON SUSANNE KNAUL
UND FELIX ZIMMERMANN

Der Tempelberg in Jerusalem kann als einer der friedlichsten Orte überhaupt erscheinen. Vielleicht gerade, weil er so viele Erwartungen erfüllen muss.

■ Beten: Wer muslimischen Glaubens ist, darf den Tempelberg betreten und dort auch beten, es sei denn, israelische Sicherheitsbehörden sperren ihn ab, weil sie Proteste befürchten. Vor allem an hohen Feiertagen kann das passieren.

■ Besuchen: Wer in Jerusalem ist und den Tempelberg als Sehenswürdigkeit besuchen will, darf das tun – nur durch das Mughrabi-Tor nahe der Klagemauer und zumeist nur in den frühen Morgenstunden. Wer allerdings nicht muslimischen Glaubens ist, darf dort nicht beten – und muss notfalls tricksen und so tun, als würde er mit dem Handy telefonieren, während er eigentlich zu Gott spricht.

Für Juden ist er die wichtigste, für Muslime die – religiös betrachtet – drittwichtigste Stätte, längst aber politisch wahnwitzig aufgeladen, von beiden Seiten. Der Berg, dieses steinerne Plateau im Zentrum Jerusalems, ist der Nukleus des Nahostkonflikts; unter anderem an seinem Status scheiterten im Jahr 2000 die Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Camp David. Israel beansprucht Jerusalem als „ewige und ungeteilte Hauptstadt“, völkerrechtlich aber ist die Annexion des arabischen Ostteils nach der Eroberung 1967 nicht anerkannt. Und die Palästinenser sehen in al-Quds, der „Heiligen“, die Hauptstadt ihres Staats, auf den sie hoffen. Alles ist kompliziert, unlösbar. Und dann, am frühen Morgen, wenn Jerusalem gerade erst erwacht, ist der Tempelberg ein stiller, ein magischer Ort. Alles scheint möglich, auch der Frieden, der so weit weg ist.

Es gilt ein Status quo, der es Muslimen erlaubt, auf dem Berg zu beten, Juden dürfen ihn nur besuchen. In den vergangenen Wochen flammte die Gewalt wieder auf, als der jüdische Aktivist Jehuda Glick von einem Palästinenser angeschossen wurde. Glick will erkämpfen, dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen und den jüdischen Tempel dort wieder aufbauen. Wieder und wieder gab es Auseinandersetzungen, rechte Politiker wollen den Status quo nun ändern. Sie scheinen eine Konfrontation als nützlich einzuschätzen.

■ Einmischung: Im Herbst 1999 schiebt die israelische Polizei 21 Anhänger einer christlichen Sekte ab, die zum Jahrtausendwechsel einen kollektiven Selbstmord oder die Sprengung der muslimischen Heiligtümer auf dem Tempelberg geplant hätten. Einer anderen Gruppe, die wenige Wochen zuvor über den israelischen Hafen Haifa nach Israel gelangen wollte und Ähnliches plante, wurde die Einreise verweigert.

■ Zerstörung: Immer wieder gibt es auch Gerüchte und Nachrichten, jüdische Terrorzellen wollten den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee sprengen. Um Platz zu schaffen für den dritten jüdischen Tempel, für dessen Bau man in der Altstadt Geld spenden kann. Als Architekturmodell gibt es ihn auch schon.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas warnte, „den politischen Konflikt in einen religiösen zu verwandeln“. Wenn ein solcher beginne, werde er nicht enden. Israels Polizeichef Jochanan Danino appellierte an seine Landsleute: „Lasst den Tempelberg in Ruhe. Ihr wisst nicht, was ihr da anheizt.“

Wir geben einen Überblick über diesen umkämpften Ort in der Mitte des Nahostkonflikts.