Förderung oder Auslese?

BEHINDERTENRECHTE „Inklusion gestalten – gemeinsam, kompetent, professionell“ heißt die Parole des Bildungsministeriums. Das klingt so einfach. Leserinnen und Leser der taz sehen allerdings erhebliche Probleme bei der Umsetzung. Eine Schule für alle – geht das?

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

In dem Artikel kommen viele kleine Wahrheiten vor, aber genauso viele Ungenauigkeiten. So gibt es schon lange das Recht der Eltern, die Schule für ihr Kind zu wählen, unabhängig vom Gutachten des/r Sonderschullehrers/in. Wie soll denn mit Kindern verfahren werden, die mehrmals täglich abgeklopft/abgesaugt werden müssen oder die Sondennahrung benötigen? Soll das alles der/die Grundschullehrer/in machen mit dem/der Sonderschullehrer/in, der/die 2 bis 4 Stunden pro Kind wöchentlich in der Klasse arbeitet? Mir drängt sich immer mehr der Gedanke auf, dass die „Akteure aus Wissenschaft, Politik und Praxis“ wirtschaftlichen Interessen folgen. Es wurde wohl gedacht, dass man Sonder- und Förderschulen mitsamt dem Personal einsparen und die Arbeit den anderen Schulen aufbürden könne. JOHANNA MÜLLER TASCHENDORF, Steinburg

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

Ich arbeite an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“. Natürlich sind wir speziell ausgebildet und müssen sonderpädagogische Gutachten erstellen, aber bestimmt nicht, um damit unsere „privilegierte“ Stellung zu behaupten. Die Klassen an unserer Förderschule sind nicht dazu bestimmt, homogene Lerngruppen zu schaffen, wie die Autoren des Artikels behaupten. Unsere Schülerschaft ist absolut heterogen, da empfehle ich den Wissenschaftlern eine Hospitation in einer Eingangsklasse unserer Schulform.

Und überhaupt, das dreigliedrige Schulsystem, das gerade vom Bildungsbürgertum so vehement verteidigt wird, ist doch ein Affront gegenüber dem Gedanken der Inklusion. Es sind gerade viele Eltern aus dieser sozialen Schicht, die der Inklusion nicht viel abgewinnen können, es sei denn, sie sind selbst betroffen, dann werden Alternativen zum bestehenden Schulsystem gesucht.

Geistige Behinderung ist in allen sozialen Schichten vertreten und natürlich nicht zu vergleichen mit dem Dogma „Lernbehinderung“ oder „erziehungsschwierig“, da haben die Autoren sicher recht. Es wäre nur schön, wenn alle Behinderungsformen im Fokus ständen. Was ist mit den Schwerstmehrfachbehinderten, den Gehörlosen, den Blinden? Brauchen nicht gerade diese Kinder den Schonraum und die damit verbundene besondere pädagogische Betreuung? Glauben die Autoren wirklich, dass man/frau alle Behinderungsformen über einen Kamm scheren kann und dass die besonderen Bedürfnisse der behinderten Schülerschaft in der Regelschule, bei klammen finanziellen Ressourcen der einzelnen Bundesländer, berücksichtigt werden können? HEINZ GERD MÜLLER, Brühl

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

Für mich Förderschullehrer, der seit 20 Jahren in verschiedenen Förderschulen, in einer Grundschule mit gemeinsamem Unterricht behinderter und nicht behinderter Schüler/innen sowie seit vier Jahren im Sekundar-II-Bereich unterrichtet, sind manche Aussagen und Behauptungen in dem Artikel nur schwer nachvollziehbar.

Die Aussage, „drei Viertel der Sonderschüler verlassen die Schule ohne qualifizierenden Abschluss“, hat vor dem Hintergrund, dass in Förderschulen ja größtenteils Schüler/innen mit starken Behinderungen oder auch viele schwerstmehrfach behinderte Schüler/innen unterrichtet werden, allenfalls propagandistischen Wert.

Wir stellen immer wieder fest, dass Schüler/innen, die von Förderschulen in den Sekundar-II-Bereich wechseln, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, in ihrer Selbstständigkeit und auch in den lebenspraktischen Bereichen deutlich weiter entwickelt sind, als solche, die aus der Inklusion kommen – und das, obwohl in aller Regel die erste Schülergruppe stärkere Handicaps hat als die zweite. Die Schüler/innen mit Behinderung, die aus der Inklusion kommen, haben sehr häufig ein ausgeprägtes Prinzen- oder Prinzessinnengehabe, also die (angelernte) Einstellung, dass ihre Umwelt alles für sie tun müsse, sie dagegen nichts oder allenfalls wenig.

Anscheinend sind die Autor/inn/en selbst von ihren fachlichen Argumenten nicht besonders überzeugt. Denn dass in ihrem Artikel konsequent die Ausdrücke „Sonderschule“, „Sonderbeschulung“, „Sonderschüler“ etc. (anstelle der heute üblichen Bezeichnungen wie Förderschule) verwendet werden, ist für mich auch ein klarer Beleg dafür, dass die Autor/inn/en diesen Bereich schon durch ihre Wortwahl desavouieren wollen.

CHRISTOPH HÖHLE, Alfter

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

Wo soll man anfangen? Frech ist schon die Unterstellung, die Sonderpädagog/innen würden Kinder ohne Not auf Sonderschulen schicken, um ihre Jobs zu erhalten, denn es gibt einen Mangel an Sonderpädagog/innen. Andersherum: Die Autor/innen der Studie sind keine Lehrkräfte, sie reden über etwas, das sie im Alltag nicht machen müssen. Typischerweise wird das dreigliedrige System als Auslese abgelehnt, aber der logische Schluss fehlt: Weg mit den Gymnasien. Logisch falsch – politisch verständlich. Sagen Sie was gegen das Gymnasium, und die nächste Wahl ist verloren.

Was vollkommen ignoriert wird, ist die Frage der Unterrichtsbedingungen. Wenn an der „bösen“ Sonderschule teilweise 2 Fachkolleg/innen sich 11 bis 12 Schüler/innen teilen, ist eine vollkommen andere Individualisierung möglich als an der Regelschule mit 30 Kindern. Allein aufgrund der Anwesenheit von nicht schulfähigen Kindern muss ein/e Sonderpädagog/in dabei sein – die Regelschullehrkräfte haben das gar nicht gelernt.

Weil die Landesregierungen keinen Euro zu verschenken haben, wird der Regelschulplatz als billige Aufbewahrung schöngeredet – Faktor 2 bis 4 billiger. Nun fehlt nur noch, wie in NRW, die Diagnose zu behindern, dann ist das ehemalige teure Sonderschulkind in der Regelschule. Dort ist dann „Full House“ und die Regelschullehrkraft muss allein klarkommen. Die Autor/innen der Studie verlieren dazu kein Wort.

Diese Art „Inklusion“ ist reine Sparpolitik, mit Gutmenschengelaber verbrämt. Zu fordern wäre permanente Doppelbesetzung mit Fachlehrkräften und maximal 20 Kinder – besser 16 wie in Finnland. So könnte es gehen mit der Bildung. Wer das nicht fordert, hat mit der Bildung nix am Hut und will nur sparen. austenjane, taz.de

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

in dem artikel wird stark die position der sonderschule kritisiert. das ist zwar richtig, doch das problem ist die regelschule, die nur in ausnahmefällen die nötigen rahmenbedingungen bietet. inklusion heißt nicht, „alle rin und fertig“. und das ist nun der trend, leider. anita, taz.de

■ betr.: „Ausbruch aus der Sonderschule“, taz vom 19. 11. 14

Sollen Kinder denn nicht für ihr Leben lernen in der Schule? Wo ist denn in einer Gesellschaft, in der es kein unten gibt, oben? Ich meine: Was soll denn aus der Motivation der lieben Kleinen werden, wenn sie nicht mehr lernen dürfen, was ihre Eltern für ein Naturgesetz halten? Ist dann das Ende das der DDR? mowgli, taz.de