Die Raucher bei Rainer

Im Neuköllner Rollbergviertel gehört das Rauchen dazu. Auch in „Rainer’s Raucherkneipe“. Ans Aufhören denkt hier keiner, obwohl der Krebsatlas ergeben hat: Hier ist Lungenkrebs-Hochburg

VON CATALIN GAGIU

Das Atmen fällt schwer – kalter, blauer Dunst hängt in der Luft. Ausgedrückte Kippen qualmen noch leicht aus den Aschenbechern einer Neuköllner Kneipe. Etwa zehn Leute haben sich am späten Nachmittag um die Theke herum gefunden, alles Stammkunden der Kneipe im Rollbergviertel. Ein Paar um die vierzig, drei, vier Rentner, eine Frau. Sie trinken Bier aus großen Gläsern und rauchen, mal selbst gedreht, mal Filterzigaretten. In der Fensterscheibe des Lokals steht ein selbst gemachtes Schild: „Rainer’s Raucherkneipe“.

Um 81 Prozent höher im Vergleich zum Berliner Durchschnitt ist im Rollbergviertel das geschätzte Risiko, an Krebs zu erkranken. Das geht aus dem Krebsaltas hervor, den Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) vor einer Woche vorstellte. Erstmals untersucht wurde dabei der Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Wohnort.

„Interessiert mich nicht!“, meint Peer Kühne, einer der Raucher am Rollberger Tresen, wenn man ihn auf das Thema Krebsrisiko anspricht. Demonstrativ zündet er sich eine neue Zigarette an und zuckt die Schultern. Selbst ein Krebsfall im nahen Bekanntenkreis hat ihn nicht erschreckt. „Kann doch auch vom Asbest hier im Viertel kommen. Oder von den vielen Abgasen“, meint der 39-Jährige und nippt an seinem Bierglas.

Seine Frau sitzt ihm gegenüber, sie nickt zustimmend. Er raucht seit 24 Jahren und werde nicht wegen „irgendeiner Statistik“ in Panik geraten. „Ich rauch und sauf schon 60 Jahre und hab trotzdem nix“, bekräftigt der rüstige Rentner Siegfried Krüger. Er sei wohl ein medizinisches Wunder, stellt er lachend fest.

In sozial schwachen Bezirken wie Neukölln, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, hat der Krebsatlas ergeben, ist das Krebsrisiko wesentlich höher als etwa in Köpenick. Die Hauptursache hierbei ist das Rauchen. Das verursacht eine Vielzahl von Krebserkrankungen.

Direkt neben der Kneipe betreibt Ismail Akin seit sieben Jahren den „Kiosk 7“. Zigaretten und Tabak sind seine Haupteinnahmequelle. Selbst starker Raucher, stellt er bei seinen Stammkunden über die Jahre eine Veränderung fest: „Wenn das Geld knapper wird, steigen die meisten erst mal auf das billige Zeug um.“ Wenn das Geld gar nicht mehr reiche, würden einige sogar ganz aufhören, denn „dann geht das Portemonnaie vor“.

Das extrem erhöhte Gesundheitsrisiko bewegt die Rollberger anscheinend nicht zum Aufhören, die Flaute im Portemonnaie dagegen schon. Stetig steigende Zigarettenpreise zeigen also in manchen Fällen mehr Wirkung als medizinische Studien. Und dann ist da natürlich noch das Rauchverbot.

„So langsam muss man die Raucher vor der Politik schützen, denn Nichtraucherschutz bedeut auch Raucherschutz“, findet Rainer Dangus, der Wirt der Rollberger Kneipe. Er ist Nichtraucher, doch gegenüber seinen rauchenden Kunden ist er solidarisch. Stolz zeigt der Kneipier auf einen Wimpel, der auf seinem Tresen thront: „Rauchklub“ steht auf dem Fähnchen. Gegen das Nichtraucherschutzgesetz hat Dangus auch schon eine Strategie: Er werde seine Kneipe als Vereinsraum anmelden. Den passenden Wimpel hierfür hat er ja schon.