LESERINNENBRIEFE
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Freiheit muss verteidigt werden

■ betr.: „Von der Kritik zur Phobie“, Muslime als Orks“,taz vom 29. 7. 11

Seit Langem die besten Artikel, die ich in der taz gelesen habe! Eine differenzierte Betrachtung und kein Eindreschen auf aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen. Ich wünsche mir, dass mehr Journalisten an die Menschen hinter den Meldungen denken, hinter den Meldungen, die erhöhte Auflagen versprechen! (Das gilt natürlich für andere Blätter mehr als für die taz.) Guter Journalismus muss sich mit den Aussagen, den Hintergründen beschäftigen, und nicht die Menschen an den Pranger stellen.

Demokratie lebt von der Auseinandersetzung mit divergenten Meinungen. Gesellschaften, die keine Trennung zwischen Religion und Staat kennen, müssen sich der Kritik einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft stellen. Die Freiheit der westlichen Welt, die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit sind erkämpft worden, gewachsen und müssen verteidigt werden. Eine Frage bleibt: Wie begegnet eine tolerante Gesellschaft der Intoleranz? Toleranz wird vielleicht als Schwäche ausgelegt. NORBERT VOSS, Berlin

Nicht jeder Meckerkopp ist Kritiker

■ betr.: „Von der Kritik zur Phobie“, taz vom 29. 7. 11

Der Begriff „Islamkritiker“ lässt mich immer an einen Text von Max Goldt denken, in dem „der griechische Frauenkritiker Eglisios Retsidokularakis“ erklärt, Frauen träten einem beim Tanzen immer auf die Füße. Auf ähnlichem Niveau scheint sich die Islamkritik vieler Islamkritiker zu bewegen, will sagen: Wie auch beim „Experten“ suggeriert die Bezeichnung „Kritiker“ zwar, dass sich die Bezeichneten intensiv mit dem, was sie kritisieren, auseinandergesetzt haben und sachlich fundiert darüber urteilen können; dies muss aber nicht den Tatsachen entsprechen. Wenn jemand sagt, die Welt sei schlecht, heißt das wohl zukünftig Kosmoskritik.

Was einen persönlich missfällt, darf man gern anprangern – Anspruch auf Einstufung als objektiv haben individuelle Meinungsäußerungen aber nicht, und dementsprechend kann auch nicht jeder Meckerkopp als „Kritiker“ geadelt werden.

FRANK PÖRSCHKE, Hattingen

Da ist eine Kausalkette

■ betr.: „Unsinn Mittäterschaft“, taz vom 29. 7. 11

Da ist keine Kausalkette und schon gar nicht Mittäterschaft. Das, im Rahmen der gesetzlichen Grenzen der unbestrittenen Meinungsfreiheit, fein dosierte Ressentiment hat aktuell in der Regel keine große Wirkung, erzeugt aber über einen langen Zeitraum verabreicht eine chronische Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas.

Es geht um Stimmungen und Gefühle, die dann oft mit großer Verzögerung ihren Ausdruck in Politik, Gesetzen oder Aktionen finden und mehr oder minder rational begründet werden. Auch rhetorisch geschickte Winkelzüge befreien nicht von der Verantwortung für den Beitrag zur Förderung von Vorurteilen und anderem (gegen Muslime, Migranten, Juden, Farbige …) Stuss.

EIKE BOLLAND, Kassel

Meinungsfreiheit ist unentbehrlich

■ betr.: „Aufklärung, ganz radikal“, taz vom 1. 8. 11

Endlich Widerspruch gegen die Verunglimpfung von Islamkritikern! Kritik an Religionen ist ebenso legitim wie Kritik an politischen Parteien und Gruppierungen – ganz gleich, ob es sich um die christliche Religion handelt oder um die jüdische oder die islamische.

Tabus schaden nur. Sie unterhöhlen die Meinungsfreiheit. Und Meinungsfreiheit ist unentbehrlich für die Auseinandersetzung der Ideen, deren Wert wohl selten so treffend beschrieben wurde wie in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: „Die Geistesfreiheit ist für das System der freiheitlichen Demokratie entscheidend wichtig, sie ist geradezu eine Voraussetzung für das Funktionieren dieser Ordnung; sie bewahrt es insbesondere vor Erstarrung und zeigt die Fülle der Lösungsmöglichkeiten für die Sachprobleme auf.“

Tabus sind außerdem eine zweischneidige Sache. Oft spielen sie gerade denen in die Hände, die auf Ausgrenzung aus sind. Je überzeugender diese Leute die These vertreten können: „Gegen die darf man ja nichts sagen!“, umso besser kann es diesen Leuten gelingen, die Abneigung gegen „die“ zu schüren. IRENE NICKEL, Braunschweig

Ausgepresst wie Zitronen

■ betr.: „Inseln im Hochleistungsbetrieb“, taz vom 1. 8. 11

Echte Barmherzigkeit gibt es im nackten, unverhüllten Kapitalismus kaum. Der „Rheinische Kapitalismus“ der sozialen Marktwirtschaft gilt seit dem Ende des Kommunismus in Europa als Auslaufmodell. Selbst die Caritas stellt keine altersgerechten Arbeitsplätze bereit. Stattdessen werden die verbliebenen, noch leistungsfähigen Arbeitnehmer regelmäßig ausgepresst wie eine Zitrone.

Es gibt Beschäftigte, die sich überlegen, wie oft am Tage sie den Toilettengang wagen können, um ihre Arbeit dennoch anforderungsgemäß bewältigen zu können. Unter solchen Bedingungen mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz für die Älteren und Schwächeren unter uns herzustellen, geht infolgedessen nur mit millionenschweren Förderprogrammen. Doch hierzu fehlt im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik schlicht das Geld. Schließlich gilt dieses Politikfeld doch schon seit Jahren als „Sparschwein“ des Finanzministers. MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln