Boom trifft Wirtschaft hart

Berlin holt auf und hängt manch einen ab: Wirtschaft und Beschäftigung wachsen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Die Unternehmen suchen Fachkräfte – und können sie nicht finden

Von ANNA LEHMANN

Nun liegt auch Berlin im Trend: Zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen, und zwar um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bundesweit wuchs die Wirtschaft deutlich stärker und legte 2,8 Prozent zu. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) ist dennoch zufrieden: „Berlin schließt auf“, sagte Wolf, als er den aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht gestern vorstellte.

Doch sehen einige Gruppen dem Wirtschaftsaufschwung bisher nur zu: Schwerbehinderte, Menschen mit Migrationshintergrund und Langzeitarbeitslose. Die Zahl der Letzteren ist 2006 sogar leicht gestiegen. Fast die Hälfte aller arbeitslos Gemeldeten ist schon länger als ein Jahr bei der Arbeitsagentur registriert. Als größtes Hemmnis, diese Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen, bezeichnete ein Sprecher der Berliner Agentur für Arbeit ihre „Marktferne“, also die Tatsache, dass sie lange arbeitslos sind. „Erst wenn die Arbeitsmarktlage deutlich günstiger wird, kann ein Teil dieser Menschen integriert werden.“

Dabei färbt der sanfte Boom der Wirtschaft bereits jetzt auf den Arbeitsmarkt ab. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, also jene, die mehr als 400 Euro verdienen, stieg von April 2006 bis zum April dieses Jahres um 29.000. Allerdings trauen die Unternehmen dem Aufschwung noch nicht recht und stellen lieber Leute ein, die sie schnell wieder loswerden können: Ein großer Teil der neuen Stellen sei im Bereich Zeitarbeit entstanden, räumte Wolf ein. Dank der Zunahme an Beschäftigung sank die Zahl der Arbeitslosen – jeder sechste Berliner Erwerbsfähige hat keinen Job. Vor einem Jahr war es noch jeder fünfte.

Für private Unternehmen wird es schwieriger, geeignete Bewerber zu finden. „Wir haben im vergangenen Jahr 35 neue Leute eingestellt, hätten aber wesentlich mehr gebraucht“, berichtet Alia Giersch, Unternehmenssprecherin des mittelständischen Software-Entwicklers Neofonie. Hauptgrund für diesen Mangel an Fachkräften sei ein Rückgang an Ausbildungsbewerbern, sagte der Sprecher der Industrie- und Handelskammer, Holger Lunau. Der Geburtenknick erreicht die Schulabgänger. „Auch die Ausbildungsreife lässt zu wünschen übrig, gleichzeitig steigen die Anforderungen im Beruf“, meinte Lunau. Eine Umfrage der IHK unter Ausbildungsbetrieben habe ergeben, dass eine signifikante Zahl von Unternehmen keine geeigneten Bewerber finden konnte.

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) forderte die Firmen auf, mehr in Ausbildung zu investieren: „Wir werden den Unternehmen keine Fachkräfte auf dem Tablett servieren“, sagte sie. Zunächst müsse die Zahl der Ausbildungsplätze steigen. Die Zielvorgabe für dieses Jahr sind 16.800 neue betriebliche Ausbildungsplätze. Angesichts eines Bedarfs von 40.000 sei dennoch eine große Lücke abzusehen, so Knake-Werner. Zumal die Hälfte der Bewerber Altbewerber sind, also ein Jahr und länger auf ihren Ausbildungsplatz warten.