Die Frau für Familie, Senioren, Atomkraft

Angst vor Schleudersitzen hat Schleswig-Holsteins Sozialministerin Gitta Trauernicht offenbar nicht: Zweimal wechselte die 55-jährige SPD-Politikerin in ihrer Karriere Bundesland und Posten, beide Male zu nicht optimalen Konditionen: Als sie im Jahr 2000 ihren Job in der Hamburger Staatskanzlei gegen den der niedersächsischen Sozialministerin eintauschte, verlor sie dadurch Rentenansprüche für mehrere Jahre. Der zweite Wechsel folgte im Jahr 2004: Trauernicht übernahm das Kieler Sozialministerium. Neun Monate vor dem Ende der Wahlperiode war das ein Wackelposten, aber Trauernicht galt als Wunschkandidatin der Ministerpräsidentin Heide Simonis und der SPD-Fraktion.

Die Begeisterung mag ein wenig abgeklungen sein: „Wirkliche Akzente hat sie nicht setzen können“, urteilen Beobachter. Dabei gebe es dafür Chancen genug: Für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren ist die gebürtige Emdenerin zuständig – die Atomaufsicht hängt wie ein Wurmfortsatz am großen Ressort. Was früher „Gedöns“ hieß, ist spätestens seit Ursula von der Leyen politisches Kernthema. Aber die Sozialministerin spielt die Rolle der Unscheinbaren. Dabei liest sich der Lebenslauf der promovierten Sozialwissenschaftlerin hervorragend: Die Chemotechnikerin holte das Abitur nach und studierte Soziologie, Erziehungswissenschaften und Philologie. Während des Studiums baute sie das Institut für soziale Arbeit e. V. auf, das sie auch führte. Seit 1987 in der SPD, wurde sie 1989 sie Leiterin des Hamburger Jugendamtes. Der Aufstieg in die Staatskanzlei folgte.

Trauernicht hat eine Tochter, die sie bereits zur Großmutter machte. Selbstbewusst und streitbar tritt die Ministerin auf – nicht immer zur Freude ihrer Umwelt: Bereits in Niedersachsen wurde ihr ein „rigider Führungsstil“ nachgesagt. Sie nimmt es übel, wenn sich andere in ihre Kompetenzen einmischen. Im vergangenen Jahr kam es zum Zoff mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel über die Frage, wer zuerst über die Vorfälle im Reaktor Forsmark hätte informiert werden sollen. In der vergangenen Woche betonte Trauernicht, sie ließe sich von Gabriel oder Merkel nicht in ihre Entscheidungen hineinreden. In der aktuellen Situation um die Vorfälle in Brunsbüttel und Krümmel hat Gitta Trauernicht, die sich klar zum Atomausstieg bekennt, jedoch keine gute Figur gemacht: Zu spät und zu unklar informierte sie die Öffentlichkeit. Den Vorwurf der „Frau Taugenicht“ würde sie aber nicht auf sich sitzen lassen: Schließlich sei sie nicht das Öffentlichkeitsreferat des Energiekonzerns Vattenfall, sagte Trauernicht im Kieler Sozialausschuss. ESTHER GEISSLINGER