Kartoffeln auf Beton

Auf dem Parkdeck hinter dem Neuen Kreuzberger Zentrum hat die Künstlergruppe Pony Pedro mit Anwohnern Beete bepflanzt. Für Mustafa Solmaz ist es der erste Garten in Deutschland

VON KIRSTEN KÜPPERS

Zwischen Mustafa Solmaz’ Ankunft in Deutschland und seinem Zucchinibeet liegen 36 Jahre. Mustafa Solmaz hat erst jahrzehntelang Fahrstühle reparieren müssen für die Firma Schindler, hat drei Kinder großziehen müssen in einer schmalen Hochhauswohnung mit seiner Frau. Er hat erst arbeitslos werden müssen und dann in Rente gehen – bis es schließlich geklappt hat mit dem Beet.

Das Beet ist nur ein kleiner Flecken Erde mitten im Beton. Es liegt oben auf dem Deck des alten Parkhauses hinter dem Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ), dem Hochhauskomplex am Kottbusser Tor. Unten in der Einfahrt setzen sich die Junkies vom Kottbusser Tor ihren Schuss, überall in den leeren Etagen liegen Spritzen und Müll. Bei den Kindern heißt das Parkhaus nur die Geisterbahn, weil immer irgendwelche Gestalten verwirrt und abgemagert durch die dunklen Gänge schleichen. Nur Verrückte stellen hier noch ihr Auto ab, sagen die Nachbarn.

Aber Mustafa Solmaz aus dem türkischen Konya, der Stadt der Derwische, wie er es den Deutschen immer erklärt, steht jetzt oben auf dem Parkdeck des furchterregenden Parkhauses vor seinem Beet, der Abend senkt sich über die schmutzigen Betonfassaden gegenüber, das Basilikum blüht, und seine Frau setzt gerade Tee auf hinten in der Bretterbude. Mustafa Solmaz guckt auf seine Zucchinipflanzen, die tatsächlich noch viel größer sind als die Zucchini seiner Nachbarn, und sagt mit schiefem Lächeln und der vorsichtigen Zufriedenheit desjenigen, der seinem inneren Plan ein Stück näher gekommen ist: Mein erster Garten in Deutschland. Er sagt es so, als würden noch viele weitere Gärten folgen.

Mustafa Solmaz wohnt im NKZ, im vierten Stock. Vor ein paar Monaten hatte sein Bekannter vom Imbiss unten im Haus ihn gefragt. Der Bekannte hatte drei junge Leute dabei. Die beiden Männer und die Frau stellten sich als Künstlergruppe Pony Pedro vor. Die jungen Leute redeten viel von ihrem Projekt, vom „Business am Rande des Existenzminimums“. Sie sprachen davon, dass das Leben in der Gegend ein Existenzkampf sei. Aber sie wollten Beete auf dem Parkdeck anlegen. Die Beete sollten diesen Kampf versinnbildlichen. Zwölf Familien sollten ein eigenes Beet bekommen. Die Pony-Pedro-Leute hatten eine Menge Geld von der Bundeskulturstiftung bewilligt bekommen für diese Idee. Und so wie es aussah, war selbst die Hausverwaltung einverstanden. Mustafa Solmaz fand, dass die Idee von „Kampf auf dem Parkdeck“ ziemlich gut klang. Also lief Solmaz mit den Pony-Pedro-Leuten durch das ganze Haus und klingelte an den Wohnungstüren. Schließlich lebt Solmaz seit den 80er-Jahren im NKZ. Er weiß, wo die deutschen Alkoholiker wohnen, wo die zerstrittenen Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien, wo die Türken. Solmaz weiß, wer einen Garten gebrauchen kann und wer nicht. Er dolmetschte, wenn die Frauen mit Kopftuch öffneten, die kein Deutsch können.

Es war nicht schwer, Leute zu finden, die einen Garten haben wollten. Solmaz’ Nachbar Mustafa Demir versuchte sogar vier Beete zu reservieren. Schließlich beginnt irgendwann jeder, der den ganzen Tag den Verkehr auf der Skalitzer Straße vor dem Haus hat und nachts noch das klagende Gebrüll der Junkies im Hof, von einem Stück Natur zu träumen. Vor ein paar Monaten kamen dann die Kräne. Die Kräne schleppten 25 Kubikmeter Erde nach oben auf das Parkdeck. Aus Holzbohlen hämmerten die Pony-Pedro-Leute die Beeteinfassungen. Jedes Beet sollte genau eine Parkbucht groß werden. Außerdem machten die Pony Pedros ein Treppenhaus sauber, den Aufgang zum Parkdeck. Sie bauten ein paar Schlösser und Tore ein zum Schutz vor Vandalismus.

Die Pflanzen kamen von Studenten des Fachgebiets Urbaner Gartenbau der Humboldt-Uni. Sie brachten Maispflanzen, Salat, Zucchinipflanzen und Tomatensetzlinge mit. Mustafa Solmaz pflanzte in seinem Beet Kartoffeln, Knoblauch und Basilikum dazu. Sein Nachbar ließ sich von Verwandten in der Türkei noch Auberginensetzlinge und Peperonipflanzen schicken. Wegen der Sache mit dem Überlebenskampf sollten es vor allem Nutzpflanzen sein, die in den Beeten landeten. Aber etwas anderes hatten Mustafa Solmaz und die anderen sowieso nicht vor. Jetzt ernten die ersten Nachbarn schon Salat. Insgesamt hat sich eine schöne Schrebergartensolidarität auf dem Parkdeck herausgebildet, die Mustafa Solmaz mit der Formel „Bestes Essen, bestes Trinken, beste Leute“ zusammenfasst. Wenn das Wetter mitspielt, grillen sie gemeinsam Köfte und Aldana Kebab. Die Frauen bringen Nudelsalat mit. Und an verregneten Abenden wie diesen sitzen sie zusammen unter der Plane vor der Holzbude, trinken starken Tee, knacken Sonnenblumenkerne, hören dem Regen und dem Rumpeln der Hochbahn zu.

Nun steuert alles auf die beiden kommenden Wochenenden zu. Immer noch steht alles unter dem Motto „Überlebenskampf“. Die Pony-Pedro-Leute werden einen Basar auf einer oberen Parketage abhalten. Sie haben Arbeitslose auf der Straße mit Flugblättern angesprochen. Die Arbeitslosen sollen auf der Parketage ein Wochenende lang ihr eigenes Unternehmen gründen und betreiben. Ein Friseur, eine Nähstube, ein Automechaniker, eine Telefonmarketing-Schule und ein Blumenladen haben sich schon angemeldet. Außerdem werden ein paar Bands auf dem Parkdeck spielen. Und ein Kochduell wird es geben. Mit Richard, dem Chef der Kneipe Möbel Olfe, mit Yusuf von der Bäckerei Güllüm und mit Inge Raddatz vom Mieterbeirat des NKZ. Es liegen also schöne Tage vor allen.

Aber Kunst ist ein flüchtiges Wesen. Ende Juli ist das Projekt offiziell vorbei, die Pony-Pedro-Gruppe denkt schon über neue Projekte nach: Wir sind keine Sozialarbeiter. Wir können nur etwas anstoßen. Andere Leute müssen das dann weiterführen, sagen sie. Mustafa Solmaz und die anderen wollen ihre Gärten ja auch weiter bewirtschaften. Nur findet sich keiner, der das Projekt finanziert. Weder in der Hausverwaltung noch beim Bezirk, noch beim Quartiersmanagement. Die Pony-Pedro-Leute haben schon überall gefragt. Die Signale sind eher auf das Gegenteil gebürstet, sagen sie. Und das ist tatsächlich schlimm: Jahrelang wird geschimpft, dass mit dem kaputten Parkhaus etwas passieren müsse. Man reißt es nicht ab, weil das zu teuer wäre. Und dann gibt es endlich eine saubere, einfache Idee, die auch von den Anwohnern begeistert aufgenommen wird. Es wurde viel Geld hineingesteckt, jetzt ist alles schon angeschoben und fertig. Am Ende aber soll alles nur eine nette Episode für den Sommer gewesen sein? Weil sich keiner findet, der das bisschen Blumenwasser bezahlt? Das verstehe, wer will.

„Kampf auf dem Parkdeck“ hinter dem NKZ am Kottbusser Tor noch bis zum 22. Juli, www.pony-pedro.de