Schminke mit Luftgitarre

OPERNPREMIERE Herbert Fritsch lässt an der Komischen Oper Mozarts „Don Giovanni“ spielen. Jens Larsen singt großartig. Dummerweise kam es zur öffentlichen Premiere, bevor er damit fertig war

Zweieinhalb Stunden lang ist jetzt der Bär los. Es ist für jeden was dabei

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Es ist wie früher, als die Oper noch am Hofe spielte. Wir müssen uns zuerst vor Klaus verbeugen, der oben in der Loge sitzt. Sagt uns Barrie Kosky vor dem roten Vorhang. Klaus nämlich hat gekämpft wie ein Löwe für die Komische und alle anderen Opern in Berlin. Wir verbeugen uns oder klatschen wenigstens laut. „Und das ist auch gut so“, hat der König ja mal gesagt, der jetzt abtritt, was aber nicht weiter schlimm ist, weil Kosky ihm einen lebenslänglichen Ehrenplatz in der Oper verspricht. „Nicht immer in der Loge“, sagt er dann ganz schnell, weil ihm einfällt, dass ein anderer am Hofe Wowereit neulich verkündet hat, die Plätze seien viel zu billig.

Über alledem haben wir glatt die Ouvertüre verpasst. Jetzt kommt nämlich sofort Jens Larsen auf die Bühne, auf der sonst gar nichts zu sehen ist. Das macht nichts, weil Jens Larsen auch alleine eine ganze Bühne füllen kann. Und jetzt ist er auch noch eingewickelt in mehrere Kilometer schwarzen Stoff. Weiß geschminkt mit roten Lippen und tiefschwarzen Augenschatten sieht er wirklich großartig aus, und er singt, wie eben Jens Larsen singt: großartig.

Es kracht und blitzt

Verwirrend ist nur, was er singt. „Nein, nein, nein“, Leporello will diesem blöden Edelmann nicht mehr dienen. Was ist denn nun mit dem Klaus in der Loge? Wird gerade die Demokratie eingeführt? (Was ja zeithistorisch auch irgendwie zu Mozart und Da Ponte passen würde.) Aber Klaus ist nicht gemeint, weil jetzt Günter Papendell kommt. Das ist ein spindeldürrer Junge mit schulterlangem blondem Haar, auch weiß geschminkt, mit (sehr breiten) roten Lippen und tiefschwarzen Schatten über den Augen. Dazu enge Hosen und enges Jackett in prächtigem Königsblau, über die Schulter ein roter Mantel geworfen. Am Hintern hängt ein Degen, den er nie richtig aus der Scheide kriegt.

Kalaueralarm, rein kriegt er ihn schon, Erika Ross kommt nun auch dazu, in Hellblau mit gewaltigem Dekolleté und gewaltiger Stimme. Sie singt von der Liebe, aber es klingt ein wenig schief und nicht schön. Immerhin haben wir jetzt schon mal drei Figuren beisammen, der Große, der Dünne und die Runde, es kracht und blitzt, im Saal geht das Licht an, dann wieder aus und das Orchester beginnt mit der Ouvertüre.

So also war das gemeint, dekonstruktiv bis in die Partitur hinein? Nun ja, Henrik Nánási hat schon besser Mozart dirigiert, es klingt ziemlich flach und schematisch. Das dämonische Wetterleuchten, das Mozart komponiert hat, kommt ja nun zu spät. Aber wenigstens ist jetzt Zeit, die Spitzenvorhänge vor die kahle Bühnenrückwand zu hängen. Mein sehr zuverlässiger und sorgfältig recherchierender Kollege vom Inforadio klärt mich in der Pause darüber auf, dass es sich um Unterwäsche handle. Vom zweiten Rang aus betrachtet sehe man das darin enthüllte weibliche Geschlecht. Mit einem Rohrschachtest hatte ich hier nicht gerechnet, und auch nach der Pause sehe ich vom Parkett aus immer nur die Gardinenabteilung im Baumarkt: verschieden gleiche Spitzen zur Auswahl.

Das ist in jedem Fall hübscher als Abstraktion und Dekonstruktion, und die Idee mit der verspäteten Ouvertüre wird nicht weiter verfolgt. Es ist jetzt zweieinhalb Stunden lang der Bär los, wie man am Hofe Wowereit wohl sagt. Es ist für jeden was dabei. Mein Sitznachbar schreibt fleißig in sein Notizbuch und muss ständig laut lachen. Zum Beispiel, wenn der ganze schmerzhaft bunte Chor mit dem Kopf wackelt zu Mozarts Takt oder laut kreischend herumtrampelt.

Ist ja auch lustig. Adrian Strooper fummelt zwischen seinen Beinen, wenn er den traurigen Ottavio singt, und versucht, Erika Roos von hinten zu besteigen. Aber das wird nix, weil Günter Papendell einsame Spitze ist mit seiner Luftgitarren-Nummer vor dem Fenster. Er lässt wirklich nichts aus, was dabei von Jimi Hendrix bis Pete Townshend möglich ist. Zur Strafe muss er am Ende in einem Loch im Bühnenboden versinken, aus dem dann bald Herbert Fritsch auftaucht. Fröhlich klatscht er in die Hände, als wolle er noch mal von vorne anfangen.

Tatsächlich ist Nicole Chevalier in ihrer viel zu langen gelben Elvira-Robe nie so richtig krass dahergekommen, und auch Philipp Meierhöfer kann mit seiner Masetto-Tolle nicht viel anfangen. Sind halt alles keine solchen Titanen wie Larsen, aber jetzt merkt Fritsch, dass der Saal (überwiegend) applaudiert. Er kann nichts mehr machen, die Premiere ist schon vorbei. „Don Giovanni“, die Oper aller Opern? Ach was: Herbert Fritsch bleibt Herbert Fritsch.

■ Nächste Aufführungen: 6., 14., 17., 25. Dezember