: Stadtplanung süß-sauer
ÜBERSEESTADT Die „Anbiethalle“ wird in der alten Bahnmeisterei unterkommen. Für das „Zuckernetzwerk“ platzt damit eine Perspektive auf neue Räumlichkeiten – und das passiert nicht zum ersten Mal
Holger Bruns, Wirtschaftsressort
Eigentlich eine gute Nachricht: Das Traditionslokal „Anbiethalle“, in dem zu günstigen Preisen Hausmannskost serviert wird, bekommt ein neues Zuhause in der Überseestadt. Das Problem ist nur: Sie waren nicht die einzigen Bewerber auf die alte Bahnmeisterei. Das „Zuckerwerk“, dem vor wenigen Wochen erst vom Senat erklärt wurde, das Gebäude werde in ihrem Sinne geprüft, ist von der überraschenden Entscheidung nicht gerade begeistert.
Schon lange sucht das Netzwerk nach einer neuen Bleibe für den 2012 geschlossenen Club „Zucker“. Der war ein Techno-Laden mit sozialem Anspruch, mit Raum für kulturelle Nischen-Veranstaltungen die von Lesungen bis zur Kleinkunst reichen. Grundsätzlich findet das auch der Senat gut. Zumindest hat Wirtschafts-Staatsrat Heiner Heseler (SPD) wiederholt gesagt, er halte „die Aktivitäten des Vereins Zuckerwerk für eine Bereicherung“. Bei der Standortsuche wolle man ihn unterstützen, hieß es. Das ist noch gar nicht lange her: Am 18. November war das, auf Anfrage der Grünen. Da ging es um die Zuckertauglichkeit der Bahnmeisterei, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen war.
Einen sozialen Anspruch kann man aber auch dem Konkurrenten Anbiethalle nicht absprechen. Das Lokal ist seit Jahren Anlaufpunkt für Menschen aus dem Quartier. Traditionell, rustikal – und erheblich günstiger als die Nachbarschaft. Dagegen sagt auch das Zuckerwerk nichts. Ganz im Gegenteil: An dem Lokal „bündeln sich die Emotionen“, sagte ein Sprecher der Gruppe zur taz. Gerade das verstelle allerdings den Blick auf den grundsätzlichen Strukturwandel im Quartier und sei in der Debatte ein „Feigenblatt“ des akuten Gentrifizierungsprozesses.
Ganz neu ist die Idee nicht, die Anbiethalle in der Bahnmeisterei unterzubringen. Die Wirtschaftsdeputation hatte das bereits vor einem halben Jahr entschieden. Nachdem man sich aber nicht auf die Miethöhe einigen konnten, hatte die grüne Bürgerschaftsfraktion sich Anfang November für das Zucker ausgesprochen.
Dann kam es überraschend doch zu einem Deal: Die Anbiethalle bekam ein günstigeres Angebot mit der Auflage, nachzuzahlen, wenn die Umsätze doch über den Erwartungen liegen sollten. Das sei keine ungewöhnliche Regelung, sagte Holger Bruns, Sprecher des Wirtschaftsressort.
Ungewöhnlich ist allerdings auch nicht, dass beim Zucker in letzter Sekunde irgendwas schiefgeht. „Wenn der Eindruck entsteht, dass sowas passiert, um das Zuckerwerk erneut nicht landen zu lassen, ist das fatal“, sagte der Bürgerschaftsabgeordnete Carsten Werner (Grüne) zur taz. Auf Facebook kursiert diese Theorie. Beim Wirtschaftsressort sagte Bruns, er verstehe die Verärgerung der jungen Leute. Aber: „Die Anbiethalle ist kein Zucker-Verhinderungswerk.“ Das Angebot sei schlicht älter gewesen.
Dem Zuckerwerk bleibt wohl nichts, als weiter nach einer geeigneten Immobilie zu suchen. Denn das Zucker braucht als Kulturzentrum und Disko sowohl Abstand zu den Nachbarn als auch eine halbwegs zentrale Lage. „Kein Mensch fährt für eine Lesung an den Stadtrand“, so der Sprecher. Wieder bei null sehe er das Projekt aber nicht: „Wenn die Stadt sich ins Zeug legt, wäre schon einiges denkbar.“ Danach sehe es nach dieser jüngsten Pleite allerdings nicht aus. JPK