KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

NOEMI MOLITOR

Wenn wir uns die Erinnerung als Haus vorstellen, gibt es da einen Dachboden, vollgestopft mit unsortierten, aber bedeutungsvollen Objekten. Oder einen feuchten Keller des Unbewussten mit all den verdrängten Spuren der Vergangenheit. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man durch Reto Pulfers „Erinnerungshäuser“ im Grimmuseum watet. Um Erinnerungszustände nachzuvollziehen, hat er die Ausstellungsräume auf den ersten Blick einfach zugemüllt. Mit einem endlosen Wust aus zerbrochenen Eierschalen, Erdklumpen, Tesarollen und auf Papierschnipsel gekrickelten Wortfetzen. Ein mit dunklen Tüchern abgehängter Raum symbolisiert die Abwesenheit der Erinnerung, die Demenz, an der Pulfers Großmutter litt. Im Nebenraum wird klar: zunächst findet man nichts vor lauter Zeugs, aber auch das Chaos folgt einer eigenen Ordnung. Fein säuberlich sortierte Schlüssel zieren die Wände zweier aus Holz in den Raum hineingezimmerter Räume. Das Unterbewusste scheint aus dem Keller an die Decke gewandert zu sein, an der Koffer, kaputte Telefone und anderer Technikschrott baumeln. Gedächtnistraining funktioniert übrigens laut Pulfer auch über Mnemotechniken wie die Loci-Methode: Gegenstände werden in fiktiven, leeren Räumen platziert, um sie sich besser merken zu können. So hat er die Gedächtniskunst unter all ihrem Unbehagen verschüttet und doch akribisch visualisiert (Fichtestr. 2, Mi.–Sa., 14–18; Erinnerungsabend am 7. 12., 19 Uhr; Anmeldung und weitere „Performing Encounters“ unter performingencounters.de). Andere „Unerhörte Räume“ eröffnen heute Abend in der Kunsthalle der Kunsthochschule Weißensee. Das Ausstellungsprojekt von Klaas Hübner und Christoph Rothmeier verspricht „klang- und zeitbasierte Erlebnisräume“ voller Performances und Hörstücke eines ganzen Raumkollektivs. Gut 30 Künstler_innen beschäftigen sich mit Themen von Raum und Zeitlichkeit, so zum Beispiel Shingo Yoshida, der in der Vergangenheit gefundenen Postkarten nachgereist ist, um zu sehen, ob ihre Ursprungsempfänger noch im gleichen Haus leben. Die Ausstellungsankündigung beschwört eine fiktive Urheberin hervor, die sich von ihrem unerhörten Resonanzraum einen „passenden Verlauf von Zeit erbat“. Es soll getestet werden, wie viele solcher Wunschräume in einen Ausstellungsraum über- und nebeneinander passen. Wenn ich mich richtig an Pulfers ineinandergeschachtelte Holzräume erinnere, dann eine ganze Menge (Gustav-Adolf-Str. 140, Eröffnung mit Performances 4. 12., 19 Uhr; weitere Öffnungszeiten: 6., 13., 20. 12 + 10. 1., 14–18 Uhr).