LESERINNENBRIEFE
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Gefährlicher Brüsseler Mainstream

■ betr.: „Gabriel wird zum Risiko“, „Es darf keine Paralleljustiz geben“, taz vom 2. 12. 14

Ulrike Hermann hat recht: Gabriel muss sich gegen Ceta und TTIP stellen. Und neu verhandeln. Wie die Juristen in seiner Partei fordern. Sie hat unrecht, dass dies nicht der SPD, sondern den NGOs zugerechnet würde. NGOs sind/waren hier wichtig. Aber: Sie fordern dies und das und haben keine Macht. Die SPD hingegen kann tatsächlich die Investorenschutzklauseln verhindern.

Wenn sie es tut, zeigt sie Mut gegenüber einem mächtigen – aber nicht übermächtigen – Brüsseler Mainstream, der hier brandgefährlich ist. Sie bewiese, dass Parteien und die Willensbildung in ihnen weiterhin wichtig sind und dass sie nicht alle gleich sind, sondern die Sozialdemokratie sich hier in guter Tradition prinzipientreu für den sozialen Rechtsstaat und die Demokratie einsetzt, während andere dies wegwischen, wegen „des Standorts“ und so.

Die SPD-Basis erfreut sich bereits jetzt meiner großen Hochachtung. Eine Entscheidung – auch Gabriels – gegen die Investorenschutzklauseln würde mich nachhaltig für die Partei als Ganzes einnehmen. SILKE KARCHER, Berlin

Abschied von Idealen

■ betr.: „Gabriel wird zum Risiko“, „Es darf keine Paralleljustiz geben“, taz vom 2. 12. 14

Ceta, TTIP und Tisa (das wird ja immer vergessen) scheinen genau das zu sein, was die Merkel-Formel von der „marktkonformen Demokratie“ ausdrückt, wohl nicht nur, was den Investorenschutz angeht. Wenn Gabriel und die SPD das im Kern so durchwinken, dann gute Reise unter die 20-Prozent-Marke, dann brauchen sie in 2017 gar nicht mehr anzutreten. Besser wird man den Abschied der einstigen Arbeiter- und Kleine-Leute-Partei von einstigen Idealen nicht skandalisieren können, und das zu Recht. MAIK HARMS, Hamburg

Spätzünder untersuchen

■ betr.: „Gabriel wird zum Risiko“, taz vom 2. 12. 14

Interessant in diesem Stinkbomben-Komplex wäre auch die Untersuchung von Spätzündern: Also, wer hat seinerzeit die Energiecharta betrieben, verhandelt und unterschrieben, die es nun Vattenfall ermöglicht, wegen der Stilllegung seiner Kernkraftwerke auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz zu klagen?

VERONIKA BAIER, Kassel

Demokratische Legitimation fehlt

■ betr.: „Es darf keine Paralleljustiz geben“, „Gabriel wird zum Risiko“ u. a., taz vom 2. 12. 14

Danke für das Interview mit dem ASJ-Vorsitzenden, Harald Baumann-Hasske, zum Thema Ceta/TTIP und zur SPD-Position zu diesem Abkommen.

Allerdings wäre eine noch radikalere Kritik an den geplanten Schiedsgerichten angebracht: Da ihnen Entscheidungskompetenz über nationale und europäische Gesetzgebung übertragen werden soll, obwohl ihnen jede demokratische Legitimation fehlt, wäre ihre Einrichtung grundgesetzwidrig. Dass die übergroße Mehrheit der Wirtschaftsminister EU-Europas die Abkommen und die Schiedsgerichte haben will, kann solchen Mangel in keiner Weise ausgleichen. Von diesem Personal ist ohnehin nichts anderes zu erwarten, da sich die Wirtschaftsminister in den meisten europäischen Staaten traditionell als Generallobbyisten der Wirtschaftsmagnaten ihrer Länder verstehen; die Pariser Ausnahme ist vor zwei Monaten weggeschossen und durch einen Investmentbanker ersetzt worden und Sigmar Gabriel leider, so scheint es, im Begriff, das Rollenverständnis der meisten seiner Kollegen zu verinnerlichen.

Ulrike Herrmann hat im Wesentlichen recht. Zu befürchten ist im Übrigen, dass es nach einer parlamentarischen Billigung der Abkommen nicht nur den ersten großen Knall einer Milliardenklage geben wird, sondern – mehr noch – den vorauseilenden Gehorsam als Normalfall, denn die Mehrheit der durch Ceta-TTIP geknebelten Staaten wird Prozessrisiken scheuen und also auf Regulierungen verzichten, die an Schiedsgerichtssprüchen scheitern können. Die Lage der SPD wäre, falls sie standhaft bleibt, günstiger als von Ulrike Herrmann angenommen: Da die Abkommen ohne sie keine Mehrheit erhielten, käme ihr in den Augen der Öffentlichkeit zwar nicht das alleinige, aber ein entscheidendes Verdienst an der Verhinderung der Schiedsgerichte zu. Die SPD gewänne damit auch neue Bündnisoptionen, die ihr andernfalls auf sehr lange Frist versperrt blieben. JÜRGEN KASISKE, Hamburg

Dunkle Seiten kommen hoch

■ betr.: „Wohin mit der Wut?“, taz vom 1. 12. 14

lieber josef winkler, herzlichen dank! sie haben mir (mal wieder) aus der seele gesprochen.

auch bei mir kommen angesichts der wahrnehmung dessen, was in den letzten wochen von außen in mich dringt, meine allerdunkelsten seiten hoch. so viele gewaltfantasien hatte ich seit meiner pubertät nicht mehr. da kann ich mir meinen hilfssatz von ginsberg noch so oft vorsagen, derzeit ist er nicht stark genug.

dennoch: falls wir unseren sinn für humor und unsere fähigkeit zur liebe verlieren, falls wir verbittert, zornig und hart werden, haben wir der gesellschaft keine alternative zum bestehenden mehr zu bieten. GÜNTHER FAUDE, Pfinztal