„Keine symbolischen Barrieren errichten“

Zwei freie Stadtteilzentren in der Neustadt werden ein Jahr alt. Ihr Anspruch: Offen – aber nicht beliebig sein

Vor einem Jahr eröffneten in der Neustadt zwei freie soziokulturelle Zentren: Das „K 108“ in der Kornstraße und das „Kurzschluss“ in der Lahnstraße. Im als offenen Raum gedachten Kurzschluss finden im Juli 21 Veranstaltungen statt; im Programm ist neben politischen Vorträgen vor allem (sub-)kulturelles. Im als „Raum für soziale Bewegungen“ angetretenen K108 treffen sich viele sozialpolitische Gruppen. Ab August wird es von einem Umsonstladen getragen. Beide Initiativen verzichten auf öffentliche Förderung. cja

Vor einem Jahr starteten gleichzeitig zwei soziokulturelle Initiativen im selben Stadtteil. Warum?

Norbert Jagemann, „K 108“: Politisch haben wir nur zwei Stadtteile ausgeschlossen: Schwachhausen als soziale Basis des gehobenen Mittelstandes und das „Viertel“ mit der ganzen bereits existierenden Infrastruktur. Was hätten wir da gesollt? Die sozial gemischte Neustadt hat sich dann ergeben. Dass es da auch das „Kurzschluss“ gab, haben wir nie als Konkurrenz, sondern als willkommene Ergänzung gesehen.

Marika Steinke, „Kurzschluss“: Wir auch. Die meisten von uns wohnen in der Neustadt. Dort fehlte ein Ort, an dem man Zeit verbringen kann, ohne dass es gleich Geld kostet und an dem man seine Ideen umsetzen kann – im Gegensatz zum „Viertel“, wo es so etwas schon gab.

Ging es um einen neuen Treffpunkt für die linke Szene, oder auch darum, Leute ansprechen, die das „Sielwallhaus“ nicht betreten würden?

Hendrik Sander, „Kurzschluss“: Wir wollen ausdrücklich offener sein für Leute ohne Szene-Anschluss als die alten Zentren. Das heißt aber nicht, das wir politisch beliebig wären.

Funktioniert das?

Sander: Bedingt. Mit einem politischen Veranstaltungsprogramm spricht man nicht unbedingt sehr breite Bevölkerungsschichten an. Leider kommt es vielen Menschen auch einfach nicht in den Sinn, einen selbstverwalteten, subkulturellen Raum zu betreten – egal, wie ordentlich es da aussieht. Mit unserem Angebot für Kinder interessieren wir aber schon auch neue Leute für uns.

Das „K 108“ sollte ein „Raum für soziale Kämpfe“ sein. Haben die stattgefunden?

Jagemann: Wir wollten soziale Bewegungen im Stadtteil stärken und ihnen Raum geben. Dazu gehört es, keine symbolischen Barrieren zu errichten. Bei uns sind ganz normale Leute reingekommen, und haben gefragt, wo der nächste Frisör ist. Im „Sielwallhaus“ traut sich das keiner. Unser Publikum war entsprechend sehr gemischt. Die Gruppen aus sozialen Kämpfen sind gekommen: Anti-Hartz IV- oder MieteraktivistInnen beispielsweise. Es kamen aber auch Kinder aus dem Stadtteil zur Hausaufgabenhilfe.

Konnten Sie politische Prozesse anstoßen, die es ohne das „K 108“ nicht gegeben hätte?

Jagemann: Unser Ziel, vom Laden aus im Stadtteil aktiv politisch einzugreifen und die soziale Frage zu stellen, haben wir nicht erreicht. Das jemand reinkam und gesagt hat ‚Mein Fallmanager bei der Bagis kotzt mich an, lass‘ uns mal was machen‘, das gab es nicht. Trotzdem haben sich neue Gruppen um den Laden herum angesiedelt, die ihn nun tragen und dort einen Umsonstladen betreiben.

Welche Wirkung haben die beiden Zentren auf die Neustadt gehabt?

Jagemann: Wirkung auf den Stadtteil ist die falsche Frage. Aber Wirkung auf die alternative Szene Bremens haben wir allemal. Das Signal war: Es geht was, es gibt einen Aufbruch. Es lässt sich etwas aufbauen, auch ohne Geld und ohne viele Leute.

Interview:
Christian Jakob