Kluger Held – trauriger Held

Wieder kassiert Luan Krasniqi in Hamburg eine bittere K.O.-Niederlage. Die Hoffnung, erster deutscher Schwergewichts-Weltmeister seit Max Schmeling zu werden, kann er wohl begraben

VON RALF LORENZEN

Raus aus den Hinterzimmern – rein ins Rampenlicht. Urdeutsche Tabakläden nehmen Wasserpfeifen in ihr Sortiment und der neue Volkssport ist das Pokern. Vorreiter dieser Bekenntniswelle zu den dunklen Seiten der menschlichen Existenz war einst das Boxen. Hier fließt noch echtes Blut, und man muss sich des Zusehens nicht einmal schämen, schließlich fließt es durch öffentlich-rechtliche Kanülen.

Beim vorletzten Kampfabend in der Hamburger Color Line Arena floss es sogar neben dem Ring, als sich Vertreter des neuen örtlichen Boxstalls Arena mit Sicherheitsleuten des Veranstalters Universum-Boxpromotion eine Saalschlacht lieferten. Da konnten sich all jene bestätigt fühlen, die in dieser Sportart eh nur einen dubiosen Aufsteiger aus der Unterwelt in die Sphäre bürgerlicher Doppelmoral erblicken können – mit der CDU/CSU-Fraktionsspitze auf der einen Seite des Ringes, und Nummerngirls in Bunny-Kostümen auf der anderen.

Am vergangenen Samstag begleitete CDU-Mann Volker Kauder den Vorzeigesportler seines Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen zwar tatsächlich nach Hamburg, aber ansonsten zeigte diese Universum-Champions-Night, was Boxen vor allem ist: guter Sport und großes Drama. Wie kaum ein anderer ist der kluge und sozial engagierte Luan Krasniqi in den letzten Jahren zu einem Symbol der neuen Seriosität des Boxens geworden. Die Metropolregion Hamburg setzt auf den gebürtigen Kosovo-Albaner sogar als Zugpferd für eine Kampagne zum lebenslangen Lernen.

Und er hat das Zeug zum tragischen Helden, denn er leidet unter dem Grundwiderspruch jedes intellektuellen Sportlers: Er denkt zu viel. Seit zwei Jahren erscheint kein Artikel über den „Löwen“ ohne die Frage, ob er die K.O.-Niederlage gegen Lamon Brewster in seinem Hamburger WM-Kampf 2005 psychisch verdaut hat. Damals, ausgerechnet an Max-Schmelings hundertstem Geburtstag, hatte Krasniqi klar nach Punkten geführt, war leichtsinnig geworden und von einem Lucky Punch zu Boden gestreckt worden.

„Halten heute seine Nerven?“, ist die meist gestellte Frage vor dem Kampf, der dem Publikums-Liebling eine erneute Chance eröffnen würde, das Schmeling-Erbe anzutreten. Seine letzte, wie fast alle glauben. Ein Gang durch den Kabinentrakt macht schnell klar, dass die Stimmung bei seinem Gegner Tony Thompson lockerer ist. Rhythmisches Klatschen und laute HipHop-Musik hier – konzentrierte Stille dort.

Bei der Pressekonferenz einige Tage zuvor war der siebenfache Vater Thompson der ihm zugedachten Rolle als Bösewicht noch nicht gerecht geworden: Beim obligatorischen Versuch, finster zu gucken, bekam er einen Lachanfall. Doch schon da vermutete Krasniqi: „Der ist nicht so nett, wie er tut.“ Er sollte recht behalten.

In Schockstarre verfolgen die Freunde und Weggefährten am Ring, wie Luan Krasniqi sich ab der zweiten Runde an die Seile zurückzieht, trotz Doppeldeckung Schlag auf Schlag einsteckt und auch in den folgenden Runden nur spärlich der Aufforderung von Trainer und Ringrichter folgt, sich endlich zu bewegen und zu verteidigen. „Reine Nervensache“, wird am Ring gemutmaßt, während das zahlende Publikum pfeift, was das Zeug hält. In der fünften Runde macht der Ringrichter dem Debakel ein Ende. „Zu Recht“, sagt Volker Kauder.

Spät am Abend bemüht der Verlierer sich um Erklärungen: „Luan Krasniqi hat heute die erste sportliche Niederlage seines Lebens erlitten. Als Mensch werde ich bleiben, was ich bin.“ Die zahlreichen Fragen nach einem möglichem Rücktritt wehrt er ab, obwohl sie fast suggestiven Charakter haben: „Das muss ich erst mit meinen Vertrauten besprechen.“ Als alles vorbei ist, erklingt aus den Lautsprecherboxen in der Halle „Heart of Gold“. So als wolle der DJ die enttäuscht abziehenden Zuschauer noch einmal an den tadellosen Charakter und die menschliche Größe des Boxers erinnern, der hier gerade verprügelt wurde.