berliner szenen Blind Dating (4)

Begegnung mit Ryfka K.

Ich betrete eine Kachelbar in der Wiener Straße und beschließe, es diesmal für mich spannender zu gestalten: Bevor ich mich zu erkennen gebe, halte ich Abstand und beobachte sie. Ryfka sitzt an der Bar, raucht P&S, hat ein klobiges Fotohandy von Nokia vor sich liegen und liest in einem vergilbten Taschenbuch (nicht in der Rowohlt-Enzyklopädie „Kunst des 20. Jahrhunderts“, die auch vor ihr liegt). Wenn sie Notizen macht, schreibt sie mit Druck. Sie ist der südländische Typ mit matt dunkelbraunen Haaren und Augen, die konzentriert bei der Sache bleiben und nie umherschweifen oder nachdenklich ins Leere starren. Sie hat einen formschönen blassrosa Mund und trägt eine rahmenlose Brille, an deren Bügel eine vor Brillenfall schützende Halskette aus Gold befestigt ist. Bling, bling.

Berlin ist Anti-Bling-bling, sage ich ihr, nachdem ich mich vorgestellt habe. Sie lächelt nur und schüttelt mir die Hand. Ihr Deutsch hat einen leichten Akzent, sie ist schon seit Jahren hier. Warum sie dieses Dating-Ding macht, weiß sie nicht, sagt sie. Sie verspreche sich eigentlich nicht viel davon. Jetzt lächele ich. Wir reden über den Widerspruch zwischen Prominenz und Blind-Dating, nachdem sie erzählt hat, sie hätte über die Agentur neulich einen bekannten Schauspieler kennen gelernt. Ob es denn Promis gebe, die ich gerne kennen lernen würde? Ich nenne zwei (Sandra Hüller, Lucy Redler). Natürlich fallen mir noch mehr ein. Ryfka sagt, siehst du, und dass Berlin das neue New York sei, von wegen Anti-Bling-bling. Hier in der Wiener Straße merkt man aber nicht viel davon, sage ich, in Zehlendorf auch nicht, von Lichtenberg mal ganz zu schweigen. Wieder lächelt sie. Kurz darauf verabschiedet sie sich, ganz förmlich, mit einem Handshake.RENÉ HAMANN