HEIKO WESTERMANN, KAPITÄN
: Der Sündenbock

■ 27, ist seit 2010 Verteidiger beim HSV und neuerdings ebenda Kapitän  Foto: dpa

Diesmal ein Weißer. In den vergangenen Jahren hatte ein Teil der Zuschauer des Hamburger Sportvereins bei Heimspielen seine Enttäuschung bei Émile Mpenza, Thimothée Atouba und Paolo Guerrero abgeladen. Nun muss sich Heiko Westermann, 27, darauf einstellen, von den eigenen Fans ausgepfiffen zu werden. Er wurde vor ein paar Tagen als Kapitän der Fußball-Profis des HSV bestätigt und der Unmut der Fans wird diese Saison aller Voraussicht nach nicht weniger, sondern mehr.

Westermann weiß das. Bereits vor der 1:3-Niederlage am vergangenen Freitag gegen Dortmund sagte er im Hinblick auf die Umgestaltung des Teams: „Wir haben enorm an Qualität verloren und werden im ersten halben Jahr sicherlich keinen Traumfußball zeigen.“

Westermann spielt, zusammen mit dem 23-jährigen Michael Mancienne, in der Innenverteidigung des HSV. Wenn die Offensiven nicht gut gegen den Ball arbeiten und das defensive Mittelfeld die Räume nicht zustellen kann, dann sehen Verteidiger so aus wie Heiko Westermann bei den drei Toren von Borussia Dortmund. Wenn Innenverteidiger wie im Spiel gegen Dortmund ständig in Zweikämpfe müssen und der Gegner in Überzahl ist, dann stimmt was nicht, aber nicht in der Abwehr.

Der HSV hat nicht die Klasse von Borussia Dortmund, die 1:3-Niederlage hätte deutlich höher ausfallen können. Die Mannschaft ist neu, jung, nicht eingespielt, sie stand gegen Dortmund nicht in der Besetzung auf dem Platz, die sich HSV-Trainer Michael Oenning vorstellt. Es ist manches neu, nicht neu ist, das beim HSV nach Sündenböcken gesucht wird. Auch da hat das gefeuerte Führungsduo Katja Kraus und Bernd Hoffmann eine Lücke hinterlassen.

Stadion-Besucher dürfen pfeifen, auch gegen die eigene Mannschaft, sie dürfen ungeduldig sein, falsche Erwartungen haben, unrealistisch sein, sich für Experten im Fußball halten. Die Haltung vieler Vereine, Zuschauer als Kunden zu betrachten, fördert die Mentalität, sich zu beschweren, wenn das Produkt nicht stimmt. Wen die Beschwerde trifft, ist – mehr oder weniger – Zufall. Trainer Michael Oenning braucht Zeit, die Mannschaft auch, in Dortmund hat das, was in der vergangenen Saison zur Meisterschaft geführt hat, in der Saison 2008/09 mit einem sechsten Platz begonnen.

Nur Optimisten glauben, dass der HSV diese Saison Sechster wird. Zweistellig ist wahrscheinlicher. Ob beim HSV ein Aufbau wie in Dortmund über mehrere Spielzeiten klappt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es darf keiner der Verantwortlichen umfallen, wenn es mal rauer wird, die Fans müssen mitmachen, die Spieler, der Trainer muss passen, notorisch geschwätzige Aufsichtsräte müssen die Klappe halten. Da ist, was den HSV anbelangt, Skepsis angebracht. ROGER REPPLINGER