GERHARD DILGER ÜBER NEBENSACHEN AUS PORTO ALEGREPROTEST GEGEN MASSLOSE UND GIERIGE POLITIKER
: Wie ein Rap zum Hit wird

Nebensachen aus Porto Alegre

VON GERHARD DILGER

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert – nach diesem Motto handeln die meisten brasilianischen Parlamentarier seit jeher. Als Oppositionspolitiker sah Luiz Inácio Lula da Silva 1993 im Kongress von Brasília eine Mehrheit, die „nur ihre eigenen Interessen verteidigt“. Daran hat sich wenig geändert. So pflegt man sich nach Wahlen saftige Gehaltserhöhungen zu genehmigen. Im Dezember 2010 stockten die Kongressmitglieder ihre Diäten um 62 Prozent auf, Regionalabgeordnete und Stadträte im ganzen Land zogen nach.

Das Landesparlament in Porto Alegre beschloss mit 36 zu 11 Stimmen gleich eine Erhöhung um 73 Prozent auf gut 20.000 Reais, das sind um die 8.750 Euro und ist ein Vielfaches dessen, was beispielsweise Lehrer verdienen. Der gesetzliche Mindestlohn liegt sogar bei nur 265 Euro.

Flugs komponierte Tonho Crocco, ehedem Frontmann der Politrocker Ultramen, einen flotten Protest-Rap mit dem Titel „Gangue da Matriz“. Die Liste der namentlich genannten 36 Ja-Stimmer, „Kapitalisten und Kommunisten“, lockert er durch eher harmlose Seitenhiebe auf, ruft: „Ich wette, ihr Lohn kommt immer pünktlich“, und schließt mit dem Appell: „Es ist Zeit, zu sprechen / es ist die Zeit der Veränderung / keine Ahnung, was dich betrifft, aber ich werde kämpfen / Und wenn das Gedächtnis kurz ist, ändere dein Verhalten.“

Das Echo war damals bescheiden, in einem halben Jahr wurde Croccos YouTube-Video nur etwa 25.000 mal angeklickt. Erst der Abgeordnete Giovani Cherini schaffte es jetzt, den Rap zum landesweiten Hit zu machen, als seine Beleidigungsklage gegen den Musiker bekannt wurde. „So wie der Protest artikuliert wurde, entfernt er sich von einer gesunden und demokratischen Meinungsäußerung, um sich in die Kategorie der Vergehen gegen die Ehre einzureihen“, heißt es in typisch gewundenem Juristensprech. Solch eine „Leichtfertigkeit“ dürfe man nicht tolerieren.

Doch der Schuss ging nach hinten los: Hacker legten die Website des Landesparlaments lahm, große Medien berichteten, Cherinis Kollegen gingen auf Distanz. Der Abgeordnete schwadroniert zwar weiter über die „Grenzen der Meinungsfreiheit“, aber in Radiointerviews beginnt er zurückzurudern. „Glaubst du Politikern?“, gab Tonho Crocco zurück. Und auf Facebook mobilisieren seine Fans unter dem Titel „FreeTonhoCrocco“ für eine Kundgebung zum ersten Gerichtstermin am 22. August.