Letzter Vorhang für die alte Zeit

Im Concordia präsentierten Generationen von KünstlerInnen des Bremer Theaters ihre Arbeiten. Im Zuge des Intendantenwechsels wird das Bremer Theater dort ausziehen: Entsprechend emotional fiel der Abschied der alten Belegschaft aus. Ab Herbst 2007 soll die freie Szene das Haus bespielen

Am Rand der Bremer Innenstadt, ein schäbiges Hoppelpflastergässchen, stolz Herderstraße genannt, umschlossen von mächtigen Verkehrswegen. Tausende von Autos rauschen vorbei, Züge quietschen dem Hauptbahnhof entgegen oder rumpeln in Richtung Hannover und Osnabrück davon. Eine eigenartige Kulisse für ein Zwietracht säendes Gebäude, das sich Eintracht nennt: „Concordia“ steht als charmant demolierter Schriftzug über dem Eingang. Im vorderen Teil scheitern Jahr für Jahr die schönsten gastronomischen Konzepte. Dahinter versteckt liegt ein Stück Bremer Theatergeschichte.

Ihr bedeutendster Intendant, Kurt Hübner, hatte das ungenutzte Kino vor fast 40 Jahren zur Raumbühne umgebaut – für den intimen Kontakt von Kunst und Kunstbetrachter, so dass der Grenzverlauf zwischen Leben und Spielen nicht mehr so eindeutig ist. Ein magischer Ort sei die Concordia, meinen die einen, nur von Theaterzauberern zum Leben zu erwecken. Ein abgetakelter Saal, in seinen Abmessungen viel zu hoch für die Breite, eher eine Garage, in die man die Kunst hineinzwingen müsse, meinen die anderen.

Ob Zauberei oder Maloche, Theatermacher wie Tabori, Fassbinder, Grüber, Kresnik und Reinhild Hoffmann haben gezeigt, wie aus der finsteren Nacktheit des Ortes etwas entstehen kann. Der sture Quader kitzelt die Experimentierlust, fordert in seiner Widerständigkeit heraus. Und die Züge, die durch die Aufführungen lärmen, erden jede Kunstanstrengung.

Wer sich der Herausforderung stellte, in der Concordia spielte, inszenierte, tanzte, das prangt an der Seitenfront des Gebäudes. Es wurde von Klaus Pierwoß, am vergangenen Wochenende verabschiedeter Intendant, für garstige, ästhetisch die Guckkastenbühne verhöhnende Stücke sowie für Kammeropern und Tanz genutzt. Sein Nachfolger, Hans-Joachim Frey, wurde unter der politischen Vorgabe eingestellt, die Concordia nicht weiter zu betreiben. Die finanzielle Einsparung ist marginal, der so provozierte Ärger war groß.

Aber das Abschiedsfest durfte abgeblasen werden: Am letzten Spieltag wurde verkündet, dass auf Initiative der Shakespeare Company und des Theaterlabor Bremen die freie Theaterszene der Hansestadt den legendären Spiel-Raum vorerst für zwei Jahre gemietet hat. Frey erklärte sich bereit, die gesamte Theatertechnik im Haus zu belassen.

Dabei hatte Pierwoß zum drohenden Ausklang als gallig-poetischen Kommentar noch einmal Pirandellos „Riesen vom Berge“ (Regie: Andrej Woron) angesetzt, eine Parabel von der Zerstörung der Kunst in einer verwalteten Welt. Sie wird symbolisiert durch die brutalen Gestalten, die Riesen, die mit Bühnenkunst nichts anzufangen wissen. Menschen, die den Weg in die Concordia nicht suchen, aufgrund ihrer machtvollen Aufgeblasenheit dort auch gar nicht hineinpassen würden. Aber sie dürfen über die Nutzung solcher Orte entscheiden. So die Regie-Idee.

Die Concordia ist das ideale Theater: ein Illusionsraum, ein Luftschloss. Theater als Ort der erfundenen Wahrheiten, die realer sind als die Zumutungen der wirklichen Welt. In dieser Interpretation wurde die letzte Vorstellung des Intendanz-Finales zum Musterbeispiel für Pierwoß’ Lust, jenseits all der Theorie, Debatten und Krisen auf Emotionalität zu setzten, die direkte Verbindung von Herz und Hirn. Ein Erfolgskonzept.

Das Publikum verabschiedete sich in den vergangenen Wochen von den besten Inszenierungen der vergangenen 13 Jahre. Das Ensemble zeigte seine Qualität, indem es die Wiederaufnahmen genauso präzise, vital, frisch und engagiert darbot wie am Premierentag. Eine Würdigung des Pierwoß’schen Stadttheater Kunterbunt, ein Sammelsurium von Regietheaterstilen zwischen frechem Aufbegehren und tiefer Aporie, die vom Schauspiel aus die Opernbühne eroberten.

Und so kam doch ein wenig gerührte Stimmung in der Concordia auf, als den Mitarbeitern Adieu gesagt wurde. „Es ist, als ob der Schwanz dem Hund hinterherwedelt.“ So formulierte Ensemblesprecher Siegfried Maschek die Situation, dass mehr Künstler gehen als bleiben. Liebevoll auf dem Thespiskarren drapiert, rollte man schließlich noch einen Totenkranz in die Concordia, den Pierwoß als „Hoffnungskranz“ gegen „die dumme und banausenhafte Politik“ umdeutete. „Froh“, dass es mit der Concordia weitergehe – auf dass bald wieder ein prachtvolles „Ausverkauft“ an die Eingangstür geklebt werden kann.

Jens Fischer