Als ob sie immer besser würden

Endlich entspannt: Am Tag, als der Sommer zurückkehrte, gaben Steely Dan ein Konzert in der Zitadelle Spandau. Selten erlebt man Legenden des Musikgeschäfts so lässig die eigene lange und wechselvolle Geschichte umspielend

Es gibt Tage, da passt einfach alles zusammen. Der Sonntag in der Zitadelle Spandau war so einer: Endlich ein lauer Sommerabend und dazu eine Band, die ihr in die Jahre gekommenes Publikum zur Verzückung brachte.

Steely Dan, nach einem Dildo aus William Burroughs’ „Naked Lunch“ benannt, sind ein Phänomen, eine lebende Legende im Musikgeschäft. Vor 35 Jahren von Donald Fagen und Walter Becker gegründet, mischten sie Jazz, Rock, Soul, Rhythm and Blues mit einer Prise Pop zu einem Sound mit Alleinstellungsmerkmalen. Dazu schrieben sie literarisch-ironische Texte, die den Nerv der Post-Beatnik-Generation trafen. Ständige Rhythmus- und Tempiwechsel, vielstimmiger Gesang und ein geradezu subversiv vorgetragener schwarzer Humor in den Liedzeilen – das waren die Markenzeichen des Duos, das mit wechselnden Mitmusikern bis 1980 sieben Platten aufnahm.

Doch die von Becker und Fagen angestrebte Perfektion war zunehmend nur im Studio zu erreichen. Folgerichtig traten Steely Dan ab 1974 nicht mehr live auf. Sechs Jahre später trennten sie sich, fanden 1993 wieder zusammen und gingen – ohne eine neue Platte eingespielt zu haben – nach fast zwanzig Jahren erstmals wieder auf Tournee. Publikum und Kritiker waren begeistert darüber, dass die Band es schaffte, nahtlos dort anzuknüpfen, wo sie 1980 aufgehört hatte. Drei Jahre später traten sie erstmals auch in Deutschland auf (in Frankfurt und Hamburg), im Jahr 2000 dann zum ersten und bislang einzigen Mal in Berlin. Und nun also in der Zitadelle Spandau, dem ältesten Bauwerk der Stadt, das außer für das gerade laufende „Citadel Music Festival“ eigentlich nur für Mittelalter-Spektakel und Kinderfeste genutzt wird. Einen besseren Ort hätte es für Steely Dan aber gar nicht geben können.

Eine zehnköpfige Band mit vier Bläsern bereitete den Soundteppich für die beiden erstaunlich jung gebliebenen Altmeister aus New York: Walter Becker, der zurückhaltende Gitarrist, und Donald Fagen an Tasteninstrumenten und Mikrofon, der mit schwarzem Anzug, Sonnenbrille und seinen zappeligen Bewegungen immer ein wenig an Ray Charles erinnert. „Time out of mind“ – geradezu sinnfällig, aber auch betont lässig zelebrierten Steely Dan den Auftaktsong. Der erste Eindruck sollte sich auch auf die gesamte Konzertdauer gesehen bestätigen: Die Band spielte viel entspannter, weniger perfektionistisch als noch vor sieben oder elf Jahren, eben spielfreudiger – was für ein Unterschied zu, sagen wir, Genesis, die zwölf Tage zuvor im Olympiastadion routiniert ihr (seit einem Vierteljahrhundert nur geringfügig verändertes) Programm abspulten.

Steely Dan dagegen waren für viele Überraschungen gut. Sie streuten zwischen ihre Klassiker eine ganze Reihe von Songs, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hatte – etwa „Bad Sneakers“ und „Haitian Divorce“. Dafür fehlten mit „Do It Again“, „Reelin’ In The Years“ und „Rikki Don’t Lose That Number“ sämtliche ihrer Hits – ohne dass man sie wirklich vermisst hätte. Eine Bühnenshow, die sich nur mit ein paar Siebziger-Lichtstrahlern begnügte, der ständige Wechsel zwischen schnellen und langsamen Stücken, zwischen Jazz-, Rock-, Soul- und gar Reggae-Rhythmen sowie – man kann es nicht deutlich genug hervorheben – der vollständige Verzicht auf unnötig lange Soli: Das geschlossene Spiel einer auf allen Positionen erstklassig besetzten Band war und ist das Geheimnis des einzigartigen Sounds von Steely Dan. Da mochte man Donald Fagen sogar verzeihen, dass seine Stimme zum Ende des Konzerts den Anstrengungen der seit Anfang Mai laufenden Tournee Tribut zollen musste.

OLIVER HAMM