Alle Schilder sind noch da

Das niedersächsische Bohmte machte letztes Jahr Schlagzeilen mit dem Vorhaben, auf Straßenschilder zu verzichten und statt dessen auf Blickkontakte zwischen den Verkehrsteilnehmern zu setzen. Bislang aber hat sich in Bohmte noch nicht viel getan

Shared Space hat Ähnlichkeit mit einer überdimensionalen Spielstraße: Der Straßenverkehr wird durch Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme geregelt. Verkehrsschilder, Fußgängerinseln, Ampeln und andere Hindernisse werden abgebaut. „Wenn man die Leute ständig anleitet und behandelt wie Idioten, benehmen sie sich irgendwann wie Idioten. Die Regeln nehmen die eigene Verantwortung weg“, sagt Shared Space-Erfinder Hans Mondermann. Bei seinem Konzept verschwinden Autospuren und Radwege – die gesamte Straßenfläche gehört allen Verkehrsteilnehmern. Als einzige Regel gilt „rechts vor links“. „Regeln sind immer zu eng oder zu weit. Sie passen zu uniformen Autobahnen. Aber sie passen nicht in eine individuelle Umgebung“, sagt Mondermann. Er will Dörfern mit Shared Space ihr individuelle Identität und ihr eigenes, über die Zeit gewachsenes Aussehen zurückgeben: „Alles uniform zu machen, durch Regeln und Schilder – das ist verrückt.“ Shared Space will die Autofahrer nicht von der Straße verdrängen. Die Straßen sollen aber nicht mehr nach den Bedürfnissen der Autofahrer, sondern nach den Bedürfnissen aller Dorf- oder Stadtbewohner gestaltet werden. KC

AUS BOHMTE BENNO SCHIRRMEISTER

War alles nur ein Hype? Oder eine Ente? Es sieht so aus in Bohmte: Die Gemeinde nordöstlich von Osnabrück hat im vergangenen Jahr eine beispiellose Medienkarriere hingelegt. Die Zeit erwähnte sie, die FAZ auch. Das Fernsehen war da, mehrfach, 3sat, der NDR, die Deutsche Welle auch und Hitradio Antenne, taz nord, Die Welt, die ADAC-Motorwelt, die Mitgliederzeitschrift des AvD und die Auto-Bild.

In letzterer hieß es, der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman sei „Die Axt im Schilderwald“: Er schraube in dem niedersächsischen Nest Ampeln und Vorfahrtszeichen ab. Im Stern wurde gar gemutmaßt, das „Dorf bei Osnabrück“ leiste „Widerstand“ und wolle „alle Regeln abschaffen“. Und Der Spiegel schrieb über Bohmtes Hauptstraße: „Anfang 2007 soll die Meile mit EU-Zuschüssen umgestaltet werden“.

Das Stichwort heißt: shared space. Shared space ist das Konzept von Hans Monderman, das dafür sorgt, dass Fußgänger, Autofahrer und Radler dieselbe Straßenfläche benutzen – sie miteinander teilen. Weshalb sie Blickkontakte brauchen. Mehr aber nicht: „Um sich nett zu benehmen“, so Monderman, „brauchen Sie kein Schild“.

Zu sehen ist davon bislang nichts. Richtig, eine Bushaltestelle ist seit dem letzten Besuch deutlich aufgehübscht worden, mit schwarzen Klebevögeln in den Glasscheiben. Und alle Schilder sind noch da. Berichtet wird auch nichts mehr, es sei denn in der Lokalzeitung. Dass ein „über zwei Legislaturperioden hinweg verfolgtes gemeinsames Bemühen aller Fraktionen im Ortsrat erfolgreich abgeschlossen werden konnte“ vermeldete jüngst das Wittlager Kreisblatt in Sachen Ortsverkehr, und zwar eine „zusätzliche Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 Stundenkilometer“ auf der zweiten Durchfahrtsstraße. „Die Beschilderung wird in nächster Zeit durch die Straßenmeisterei Bohmte vorgenommen“. Eine Rolle rückwärts? Gerade jetzt, wo Shared Space auch in Hamburg-St. Georg in Angriff genommen werden soll?

Aber nein. Bohmte bleibt am Ball: Es gibt sogar schon eine sichtbare Spur des EU-Projekts – nämlich ein Verkehrsschild, das darauf hinweist, dass sich hier, auf der Hauptstraße, demnächst einmal Autos, Fußgänger und Radfahrer dieselbe Fläche teilen. Und dann die Schilder abgebaut werden. Aber auch die Gerüchte, es würden letztlich doch nur zwei Kreuzungen entrümpelt, entsprechen nicht dem Niveau der Entwürfe: „Man kann nicht sagen, dass das zu halbherzig wäre“, so Axel König vom Bremer Ingenieursbüro GfL, das die Planungen koordiniert. Natürlich könne man nicht den ganzen Ort still legen. Angegangen würden aber die neuralgischen Punkte – und insgesamt bedeute das Projekt „eine komplette Umgestaltung des Ortsbildes“, so König. Auch seien die Schilder wenigstens in Bohmte „nicht das Kernproblem“. Das seien vielmehr „die 12.500 Kraftfahrzeuge, die jeden Tag mit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort donnern.“

Wenigstens deren Geschwindigkeit will man durch die Baumaßnahmen drosseln: Die Bürgersteige werden abgeflacht, farbige Pflasterung soll so genannte mixed-user-Zonen kenntlich machen – einrichten will man sie da, wo „Gefahrenpotenzial“ vermutet wird. Dadurch erhält das, was momentan nichts ist als eine Durchfahrtsstraße, seinen ursprünglichen Charakter zurück. Die Zielvorstellung nach Monderman: „Bohmte ist Bohmte und sieht aus wie Bohmte“. Darüber hinaus gehender Schilderbedarf sei höchstens ein Zeichen dafür, dass „etwas mit der Straße nicht stimmt“.

Nicht alle in Bohmte haben es mitgekriegt, dass sich etwas verändern wird. Andere sind euphorisiert: „Doch, da vorne“, sagt eine Passantin auf der staubigen Bremer Straße, „da ist glaube ich schon etwas gemacht worden“. Der Radweg? Tatsächlich ist die Farbe leicht aufgefrischt, aber das kann trotzdem nicht stimmen: Die Ausschreibungsfrist für den Bauauftrag läuft noch bis zum 28. August, erster Spatenstich ist Anfang September. Dann wird erst einmal bis Mai gebaut. Skepsis? „Ich bin nicht skeptisch“, sagt Günter Rubcic, „überhaupt nicht.“ Rubcic ist Fahrlehrer in Bohmte, und widerlegt das Vorurteil, nach dem diese Berufsgruppe verkehrstechnischen Neuerungen eher abwartend gegenüber steht. Ob das mit dem Verkehr „so viel weniger wird“, da hat er schon so seine Zweifel. Das Grundkonzept jedenfalls hält er für richtig. „Es wird Zeit, dass die Leute wieder mehr Verantwortung übernehmen“, sagt Rubcic.

Nein, Bohmte ist keine Ente. Im kommenden Frühjahr spätestens, wird Bohmte wieder im Rampenlicht stehen: Als Modell, damit shared space auch in Deutschland Nachahmer finde: „Wenn man das richtig angucken kann“ ist sich König sicher, „dann wird sich das auch weiter verbreiten.“