REININTERPRETIERT
: Von gängigen Irrtümern

Nils Schuhmacher

Gängiger Irrtum Nummer eins: „gehören zu uns“. Die Berliner MIA waren für einen Moment des Jahres 2003 Lieblinge einer auf Popkultur abfahrenden Antifa-Fraktion. Man verfrachtete sie auf einen Laster und ließ sie die „Revolutionäre 1. Mai-Demo“ mit ihrem Post-NDW-Pop beschallen. Dann aber folgten Verwirrung, Enttäuschung und Beleidigtsein. Der im selben Jahr erschienene Song „Was es ist“ lotete die Grenzen des Patriotismus aus und griff dabei auf ein Liebesgedicht eines Nationalgefühlen gänzlich unverdächtigen, linken jüdischen Österreichers zurück (Erich Fried). MIA entpuppte sich also als handelsübliche Band mit Talentwettbewerbshintergrund und Eurovision-Songcontest-Perspektive, die Bewusstsein im Sinne der politischen Protegés nicht im Gepäck hatte. Statt Aufregung hätte es allerdings auch ein Geschmackstest getan. Dann wäre vorher schon bekannt gewesen, dass die Band eingängige Hits auf Elektrobasis produziert, deren kritische Geste sich auf Allgemeinplätze und konstruktive Vorschläge konzentriert. Der neueste Song heißt dennoch „Nein Nein Nein“. (Sa, 13. 12., 20 Uhr, Docks).

Gängiger Irrtum Nummer zwei: „klingt wie“. Wenn sich welche eine staubige Verkleidung überwerfen und Schminke ins Gesicht tun, ruft die Allgemeinheit gerne: wie bei Kurt Weill, Brecht etc. Hauptsache es geht so zu wie im Theater und es riecht nach jener Mischung aus Varieté, Dreigroschenoper und Chanson, die Bands wie Dresden Dolls bekannt gemacht haben. Dass es zuweilen auch nach Kleinkunst stinkt, ist hier ein Nebeneffekt. Vielleicht kann man sogar sagen: Das macht die Sache doch aus, dass man es eben nicht so genau weiß. Die aus England stammenden Tiger Lillies sind jedenfalls ausgesprochene Grenzgänger. Bitterböser Humor paart sich mit Clowns-Maskerade, Cabarett mit Falsett-Gesang und richtig schöner Schmutz mit der Überraschung des Publikums. Geht doch. (Mo, 15. 12., 20 Uhr, Uebel & Gefaehrlich).