Temporärer Männerausschuss

MONOEDUKATION Der Bachelor Informatik und Wirtschaft an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft ist ein reiner Frauenstudiengang. Das soll angehenden Studentinnen Ängste vor dem Fach nehmen

■ Die Zahl der Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ist in den letzten Jahren überdurchschnittlich gestiegen. Daten des Statistischen Bundesamtes und Berechnungen der Geschäftsstelle Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen „Komm, mach MINT“ zeigen, dass seit 2008 die Zahl der Studienanfängerinnen um gut 70 Prozent gestiegen ist – von fast 60.000 auf über 100.000. Somit ist von allen Studierenden, die ein MINT-Studium beginnen, fast jede dritte eine Frau. Der Zuwachs an MINT-Studienanfängerinnen liegt damit deutlich über dem Zuwachs an Studienanfängerinnen insgesamt, der bei 50 Prozent liegt. Auch der Frauenanteil unter den unter 35-jährigen MINT-Akademikern ist seit dem Jahr 2000 von 22,4 Prozent auf 24,9 Prozent im Jahr 2012 angestiegen.

VON HEIDE REINHÄCKEL

Petra Braatz nennt es Dolmetschen. Doch die Studentin im fünften Semester des Bachelor-Studiengangs Informatik und Wirtschaft an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) übersetzt nicht zwischen zwei verschiedenen Sprachen im herkömmlichen Sinn. „Das Wissen ist in den Köpfen der Kunden, und ich muss das Kundenwissen in Software umsetzen“, sagt Braatz. „Das sind zwei ganz unterschiedliche Sprachen: die des Anwenders und die abstrakte Programmiersprache.“

Momentan beschäftigt sich Braatz im Rahmen eines studentischen Projekts an der Entwicklung einer Web-Oberfläche zum Durchklicken für das Berliner Unternehmen EAW-Relaistechnik GmbH. Eine gemischte Gruppe aus Studierenden aus dem dritten und fünften Semester ihres Studiengangs entwickelt für EAW einen Konfigurator, mit dessen Hilfe verschiedene Modelle von Thermoschaltern generiert werden können. Das Besondere dabei ist, dass die Projektgruppe der Thermoschaltertüftler ausschließlich aus Studentinnen besteht: Denn der HTW-Bachelor Informatik und Wirtschaft ist ein reiner Frauenstudiengang.

„Der Studiengang wurde 2009 eingerichtet, weil die HTW zum einen die Fachrichtung Informatik mit einem Wirtschaftsschwerpunkt verbinden wollte und weil zum anderen die Nachfrage nach Frauen in diesem Berufsfeld hoch ist“, berichtet Juliane Siegeris. Sie hat seit 2010 eine Professur am Frauenstudiengang inne. Und benennt damit das Problem: Auf dem Arbeitsmarkt sind Absolventinnen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zwar gefragt, aber in den entsprechenden Studiengängen deutlich unterrepräsentiert. Als eine Lösung bieten einige Hochschulen seit geraumer Zeit monoedukative Studiengänge an. Neben der HTW gibt es in Deutschland noch vier weitere Möglichkeiten, in den MINT-Fächern ausschließlich unter Frauen zu studieren: Wirtschaftsingenieurwesen an den Hochschulen in Wilhelmshaven und Stralsund, Informatik an der Hochschule Bremen und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Furtwangen.

In Berlin scheint sich das Modell des Frauenstudiums bewährt zu haben. „Unsere Hoffnungen sind aufgegangen. Auf 40 Studienplätze kommen im Durchschnitt jährlich 100 Bewerberinnen. Der Anteil der Bewerberinnen der anderen IT-Studiengänge ist in den letzten Jahren sogar gestiegen. Wir graben also den anderen Studiengängen nicht das Wasser ab, sondern konnten eine neue Klientel gewinnen“, so Siegeris. Und diese Klientel ist weiblich, technikaffin, weiß aber auch um die männlich codierte Branche und will deshalb unter ihresgleichen studieren.

Bei Informatik wird bei null angefangen und Fragen sind explizit erwünscht

„Hier sitzt keiner daneben, der die Augen verdreht, wenn man etwas nicht weiß. Es ist ein geschützter Raum, danach kann man in die Informatik-Männerdomäne losgelassen werden“, berichtet Studentin Braatz aus ihrem Alltag auf dem Campus Wilhelminenhof in Berlin-Oberschöneweide. „Die Einstiegsangst ist ein großes Thema“, pflichtet Siegeris bei. „Die Studentinnen befürchten ungleiche Startbedingungen, wenn sie mit männlichen Kommilitonen studieren, die seit früher Kindheit vor dem Computer sitzen.“ Deshalb werde für den Studiengang mit drei Mottos geworben, sagt Siegeris: „Bei Informatik wird bei null angefangen, Fragen sind explizit erwünscht und der Studiengang ist familienfreundlich, denn alle Kernveranstaltungen sind zwischen 9 und 16 Uhr.“

Mit Blick auf die Absolventinnen des Studiengangs, die unter anderem bei SAP, adesso, Telekom oder VW arbeiten, scheinen sich der temporäre Männerausschluss und der hohe Praxisbezug auszuzahlen. Und doch dient der Bachelor-Frauenstudiengang in erster Linie als eine Art Einstiegskatalysator, der im engen Zeitfenster des heutigen Studienbetriebs Ängste nehmen und Chancengleichheit fördern soll. Denn einen weiterführenden Frauen-Masterstudiengang gibt es nicht, und er ist auch nicht geplant.

Auch muss nach Siegeris’ Meinung bereits früher in den Schulen angesetzt werden, um Mädchen für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern: „Viele Facetten der Informatik sind den meisten Schülerinnen gar nicht bewusst, dabei sind sie alltäglich davon umgeben, beispielsweise wenn sie ihr Smartphone benutzen. Weil technische Anwendungen mehr denn je unsere Lebensrealität prägen, ist es wichtig, dass auch Frauen sie mitgestalten. Außerdem macht es auch Spaß.“ Damit der technische Spaß auch bei Schülerinnen ankommt, gibt es nicht nur Kampagnen wie den Girls’ Day. Ende November wurden in Berlin erstmals Abiturienten und Abiturientinnen mit einem neuen, bundesweit gültigem MINT-EC-Zertifikat ausgezeichnet, das für herausragende schulische und außerschulische Leistungen in den MINT-Fächern vergeben wird. Mit dieser Auszeichnung trauen sich Schülerinnen in Zukunft dann vielleicht als eine neue MINT-starke Kohorte auch in coedukative Studiengänge.

■ Infos: fiw.htw-berlin.de