Ein gelungenes Fest für Fingerkuppen

BIBLIOPHIL Für den Jäger und Sammler im Leser: Bücher aus den aktuellen Programmen mit schöner Ausstattung

Wie Liebhaberstücke wirken die Ausgaben – auratisch, sorgfältig produziert, mit Lesebändchen

VON DIRK KNIPPHALS

Es gibt diese Momente, in denen man sein Bücherregal durchgeht und auf ein Cover stößt, das wie mit einem Ruck die Aufmerksamkeit an sich zieht und alles in einem wieder hervorzaubert: die Begegnung mit Charakteren, Sätzen und Perspektiven, das Eingesponnensein in eine fremde Geschichte und Sprache, die Erkenntnisse – die Stunden des Lesens also. Kürzlich stieß ich zum Beispiel auf das Cover von John Updikes Roman „Couples“ im Penguin-Verlag, und die ganze Verwunderung darüber, wie ernst, feierlich und genau man über den alltäglichen Kampf um Selbstverwirklichung schreiben kann, war wieder da. Obwohl ich das Buch in einer ganz anderen Ausgabe gelesen habe. Manchmal sucht sich die Erinnerung an intensive Lebensstunden ihre eigenen Gefäße. Die Bettdecke sieht auf dem Penguin-Cover so sündig zerknittert aus.

Darüber, dass Buchcover sozusagen lauter werden und vermehrt dazu da sind, Aufmerksamkeit zu erzeugen und Reklame für sich zu machen, hat Theodor W. Adorno mal einen strengen Essay geschrieben. Das mag ja auch sein. Immer wieder gelingt es den Buchgestaltern aber auch, Bücher zu etwas zu machen, das in sich stimmig ist und seine Existenzberechtigung in sich trägt. So wie eine schöne Vase oder ein lauer Sommertag (oder auch, um ein Konsumprodukt zu erwähnen, ein iPhone).

Die Schriftstellerin und Buchgestalterin Judith Schalansky hat darauf hingewiesen, dass es gerade in Zeiten des E-Books wichtig sein kann, am Fetischcharakter des Objekts Buch zu arbeiten und Bücher zu produzieren, die man haben will – eben als analoges, einmaliges Ding und nicht nur als Text und Datei. In ihrer wunderbaren Naturkundereihe im Verlag Matthes & Seitz, fadengeheftet, Kopfschnitt, hat sie denn auch vorgemacht, wie das geht, ohne in ein Manufactum-„Es gibt sie noch, die schönen Dinge“-Design abzugleiten. Überhaupt wird, wer sich im gegenwärtigen Buchangebot umsieht, auf viele solcher gelungenen Buchobjekte stoßen. Es kann gut sein, dass die guten Beispiele genauso stark an Zahl zunehmen wie die negativen.

Im Dörlemann-Verlag findet man sehr regelmäßig Buchausgaben, die man nicht nur lesen, sondern auch anfassen, im Regal angucken und irgendwo ein bisschen bewundern möchte. Raija Siekkinens schöner Erzählungsband „Wie Liebe entsteht“ etwa. Ein schönes Blau, eingeprägte Schrift, Lesebändchen lustigerweise rosa, ein per Hand aufgeklebtes Coverfoto (in meiner Ausgabe nicht hundertprozentig gerade aufgeklebt, was geradezu rührend wirkt) – ein Sorgfaltserlebnis, auch haptisch, das den gelegentlich traurig hingetupften Erzählungen der finnischen Autorin einen würdigen Auftritt gibt. Ganz anders, im selben Verlag, Charles Jacksons von Bettina Abarbanell neu übersetzter Trinkerroman „Das verlorene Wochenende“. Mattes Rot, leichte Retroanmutung. Toll. Überhaupt ein Tipp: Den Roman kann man echt mal wieder lesen.

Zuverlässig trifft man auch in dem kleinen Verlag Friedenauer Presse auf Bücher, die alle Bedürfnisse nach auratischer Ausstrahlung erfüllen. Das liegt in diesem Fall an den harten, eckigen Buchdeckeln, die in etwa so aussehen wie die frühen, nur noch antiquarisch zu erwerbenden Bücher aus der Insel-Bücherei. Es liegt aber auch an der Covergestaltung. Bei dem kürzlich in der Friedenauer Presse erschienenen Roman „Belle. Ein Trugbild“ des italienischen Autors und Verlegers Alberto Vigevani, der die dreißiger Jahre in Mailand hervorruft, ist das Cover in Brauntönen hingetuscht. Von vornherein wie ein Liebhaberstück wirkt diese Ausgabe, ohne marktschreierisches Schielen auf das Markenzeichen „bibliophil“. Und es ist etwas Seltsames: Ist der Schreibtisch auch noch so hoch mit Bücherstapeln vollgepackt – die Bücher aus der Friedenauer Presse stechen, so zurückhaltend sie sind, stets heraus.

Natürlich gibt es noch die Salto-Bücher im Wagenbach-Verlag, die textura-Reihe im Beck-Verlag, die Bände aus der Anderen Bibliothek oder die so praktisch kleinen wie philologisch nachhaltigen Klassikerausgaben im Manesse-Verlag – sie alle sprechen nicht nur den Jäger (nach neuen Horizonten) im Leser an, sondern auch den Sammler. Wobei ich ehrlicherweise etwa den Klassiker „Washington Square“ von Henry James bei Manesse nur wegen der so überaus bauschigen Röcke der Frauen auf dem Coverfoto in die Hand genommen habe. Wie lange man so ein Buch in der Hand behält, hängt dann natürlich aber vom Text ab; bei Henry James war es sehr lang.

Welcher Verlag auch immer für eine besondere Gestaltung gut ist, ist Galiani. Man fühle etwa einmal über die von Tilman Spreckelsen nacherzählte und von Kat Menschik illustrierte Ausgabe der Saga „Kalevala“ – die eingeprägten Buchstaben, aber auch der feste Karton sind ein Fest für Fingerkuppen.