Nüchtern zum Kick

Niedersachsens Fußballverband macht ernst gegen Hooligans: Ohne Sicherheitskonzept bekommen auch Amateurvereine keine Lizenz mehr. Die meisten gewaltbereiten Fans gibt es in Braunschweig

In Niedersachsen gibt es laut Innenministerium insgesamt 1.280 Problem-Fußballfans. Diese teilen sich in zwei Kategorien auf: 935 gelten als gewaltbereit (Kategorie B), 340 als Gewalt suchende Fans (C). Die meisten Problemfans sind Mannschaften im Profibereich zuzuordnen. 205 der Problemfans tummeln sich im Umfeld der Oberliga Nord, betroffen sind hier fünf der zehn niedersächsischen Vereine. In der Niedersachsenliga gibt es 70 Problemfans. Sie verteilen sich auf drei von rund 30 Mannschaften. Die Vereine im Einzelnen: Eintracht Braunschweig II (10 B-, 50 C-Fans), VfL Wolfsburg II (Regionalliga, 30 B-, 5 C-Fans), Hannover 96 II (20 B-, 20 C-Fans), VfL Osnabrück II (25 B-, 15 C-Fans), SV Meppen (25 B-, 5 C-Fans), VfB Oldenburg (10 B-, 20 C-Fans), SV Wilhelmshaven II (25 B-Fans), TuS Celle (15 B-Fans).  DPA

VON KAI SCHÖNEBERG

Sie prügelten sich im Fanshop, grölten in der Altstadt. Erst am Wochenende schraubten 70 Fans von Eintracht Braunschweig beim „Sparkassen-Cup“ in Hannover wieder an ihrem Image, die brutalsten Fußball-Anhänger im Norden zu sein. Immerhin spielte die Eintracht beim Erzrivalen 96, beide Clubs pflegen einen rituellen Rivalitätsfetisch, der seit Jahrzehnten zu Ausbrüchen führt. Was tun? Es sei zum Glück noch nicht ganz so schlimm wie in Ostdeutschland, wo sich „mobile Rollkommandos ganz gezielt in gewisse Fanbereiche einklinken“ wollten, sagte Karl Rothmund am Mittwoch bei der Vorstellung eines Lagebilds über Gewalt in niedersächsischen Fußballstadien.

Und dennoch will der Präsident des Niedersächsischen Fußball-Verbands (NFV) künftig alle Vereine im Land zu mehr Sicherheit in den Stadien verpflichten. Von der Oberliga Nord aufwärts müssen sie künftig einen Sicherheitsbeauftragten ernennen, Ordner schulen, Barrieren zwischen Fanblocks und Spielfeld bauen sowie standardisierte Pflichtmeldungen über Gewalt von Fußball-Hooligans erstellen. Sonst gibt es ab der Saison 2008/09 keine Lizenz mehr. Rothmund hält sogar ein komplettes Alkohol-Verbot bei Spielen mit Gewaltpotenzial für möglich. Sicherheitstechnisch ist der NFV mit seinem Konzept bundesweit Spitze: „Kein anderer Fußball-Landesverband ist so weit wie Niedersachsen“, sagte Rothmund. Er werde sein Konzept deshalb auch dem DFB zur Verfügung stellen.

Bei einer Auswertung von 317 Spielen aus der Oberliga Nord und der Niedersachsen-Liga aus der vergangenen Saison zeigte sich, dass es auf den Plätzen einige Male richtig krachte. Raketen, bengalische Feuer oder Attacken gegen Schiedsrichter sind auf den Plätzen von Amateur-Vereinen keine Seltenheit mehr. „Beim Spiel A gegen B fahren 15 Fans mit, die schon beim Aussteigen aus dem Bus sternhagelvoll sind“, sagt NFV-Fanexperte August-Wilhelm Winsmann. „Und dann können die Ordner nicht verhindern, dass die im Stadion Knallkörper hochgehen lassen.“ Auch das Verhalten von aggressive Trainern führe oft dazu, dass es „körperliche Attacken“ gebe, sagte Rothmund.

In Braunschweig hat Sportminister Uwe Schünemann (CDU) die „größten Probleme“ festgestellt. Von 1.280 gewaltbereiten Fans im Land kommen 750 aus der Stadt an der Oker, davon 168 echte Problemfälle, die Gewalt suchen. Selbst der Oberliga-Zweitclub der Eintracht hat laut der NFV-Aufstellung 60 „Problemfans“ und pflegt eine „Feindschaft“ mit fünf Vereinen. Immerhin gibt es hier inzwischen ein Fanprojekt.

Das Phänomen ist aber nicht auf Braunschweig begrenzt. Fast 200 Prügel-Fans soll es beim Erstligisten Hannover 96 geben, 170 beim Wolfsburger VfL. Fußball-Zweitligist VfL Osnabrück musste kürzlich auf Anraten der Polizei ein in Melle geplantes Testspiel gegen den Bundesliga-Aufsteiger Hansa Rostock absagen – die Beamten hatten die Sicherheit nicht gewährleisten können, weil 80 gewaltbereite Hansa-Anhänger ihr Team begleiten wollten. Auch in Osnabrück gibt es 140 gewaltbereite Fans.

In Zukunft soll sich das ändern: Damit die Fans die Fäuste nicht mehr auspacken, will Niedersachsens Fußballverband auch im Amateur-Bereich mehr Stadien mit getrennten Zugängen. Außerdem kündigte Rothmund ligaübergreifende Stadionverbote für Fans an – und Pappbecher statt Bierflaschen. Schünemann begrüßte das: Die Polizeieinsätze würden „sonst so teuer, dass sie nicht mehr durchgeführt werden können“.