Milde Propaganda

FILMREIHE UND AUSSTELLUNG „Flimmern über den Eisernen Vorhang“ beschäftigt sich mit Programmen und Zielen der sogenannten Grenzkinos, die von 1950 bis 1961 nahe der Sektorengrenze Westfilme für Ostberliner zeigten

Heimatfilme, Western und Rock ’n’ Roll, damit wurden die Ostberliner unterhalten

VON RENÉ HAMANN

So ließen sich auch Geschäfte machen. In einer Zeit, als Berlin schon geteilt war, aber die Mauer noch nicht stand – in jenem guten Jahrzehnt zwischen 1950 und 1961, das in irgendeinem Loch der Geschichte verschwunden schien –, eröffneten entlang der Sektorengrenze zum Osten hin einige Lichtspieltheater und boten Filmkunst vorrangig für BürgerInnen aus dem Ostteil der Stadt. Versorgt wurden sie in diesen sogenannten Grenzkinos hauptsächlich mit milder Propaganda aus dem Westen: insbesondere der neue Heimatfilm, der von Strandexotik in Italien, von golden schimmernden Gipfeln hinter tiefblauen Bergseen und der Liebe in den Zeiten der neuen Kleinbürgerlichkeit erzählten, hatte es den GrenzkinogängerInnen angetan. Aber es gab auch „Radaufilme“, Western, Krimis, Rock ’n’ Roll: Beliebt bei Zuschauern in Ost wie West, unbeliebt bei den aufklärerisch wirken wollenden Offiziellen. Schließlich handelte es sich ja um eine Idee der US-Militärs.

Der Teufel spielt Balalaika

Zu sehen sind jetzt einige dieser Filme während einer Film- und Ausstellungsreihe, die rund um das überall präsente Mauerbaujubiläum in mehreren Innenstadtkinos stattfindet. Vom 12. August an werden u. a. das Kreuzberger Freiluftkino, Arsenal und Filmtheater Friedrichshain mit Filmen bespielt, die damals in den muffigen Fünfzigern in den Grenzkinos liefen. Eröffnet wird die Reihe ausgerechnet mit „Der Teufel spielte Balalaika“, jenem Film, der als Letztes vor dem 12. August 1961 gelaufen war, im Lido, das damals schon so hieß, nur mit einem angehängten „Filmtheater“, und sich hiermit also seiner Geschichte stellt. Der Film indes war ein echter Kriegsfilm aus dem Jahr 1961 mit Götz George, in dem es um Wehrmacht-Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft geht. Natürlich geht es allen schlecht, schließlich herrschen Hunger, Willkür, Unterdrückung und Drangsalierung. Der umgedrehte Horror sozusagen – inklusive einem polnischen Beamten, der sich für menschenwürdige Haftbedingungen einsetzt.

Aber es gibt auch anderes. Zum Beispiel den Rock ’n’ Roll. So läuft der Film „Die Halbstarken“ mit Horst Buchholz im Freiluftkino Kreuzberg, und einen Tag darauf findet im Cortina Bob, ehemals „Wiener Lichtspiele“, ein Abend im Geiste der Musik statt. Es läuft „Rock Around the Clock“, anschließend gibt es Party mit Petticoatzwang.

Auch der Einbruch der Jugendkultur hat seinen Hintergrund. Die Grenzkinos, besonders die in Kreuzberg, wurden damals häufig von „halbstarken“ Jugendlichen besucht, die bei Nichtgefallen auch gern mal die Bestuhlung zerlegten. Überhaupt ist Berlin von jeher eine große Filmstadt mit vielen Spielhäusern gewesen; Spuren davon finden sich heute noch reichlich. Die Grenzkinos aber – von denen es in Kreuzberg allein zehn gab mit illustren Namen wie „Casino-Lichtspiele“ oder „Stella-Filmtheater“ – sind gleich nach dem Mauerbau weitestgehend verschwunden. Die Idee, entlang der Grenze ein subventioniertes Kino für die aus der DDR zu installieren, hatte ausgedient. Sehr zur Freude der kulturreaktionären Elite übrigens, egal auf welcher Seite der Mauer.

Die Defa antwortet

Dabei hatte besonders die ostdeutsche Filmindustrie in den fünfziger Jahren versucht, an Qualität und Tradition der zwanziger Jahre anzuschließen. Die Defa produzierte anfangs im Vergleich zum postfaschistischen, heimatverliebten Westfilm erstaunlich offenes und kritisches Kino. Genannt seien hier nur „Der Untertan“ oder „Berlin Ecke Schönhauser“. Auch das ging freilich in der restriktiven Phase nach 1961 verloren. Zuvor hatten die Offiziellen sogar versucht, auf das „defätistische“ Grenzkino ihrerseits mit einer Lichtspielinitiative zu antworten – eine Zeit lang muss diesseits und jenseits der Grenze ein Kino neben dem anderen gestanden haben, jeweils nur einen Filmrollenweitwurf über die Sektorengrenzen hinweg.

Begleitet wird die Reihe von einer Ausstellung, die in der Galerie Zero stattfindet. Ein Sprung in eine andere Zeit – großformatige Filmplakate, viel Schwarzweiß, dazu Filmausschnitte, Interviews, die reinste Nostalgieschau. Schön, natürlich. Schön ist auch die begleitende Webseite, berliner-grenzkinos.de. Hier findet sich alles, was man zum Thema wissen muss, und noch viel mehr.

■ „Flimmern auf dem Eisernen Vorhang. Berliner Grenzkinos 1950–1961“. Filmreihe und Ausstellung, an verschiedenen Orten, bis 12. September. Programm: berliner-grenzkinos.de