Grillfest nebst Phasenübergängen

Über offenes Feuer gehört fettes Fleisch. Und wer Bier darüberkippt, verschwendet einen guten Schluck. Ein naturwissenschaftlicher Überblick über die kulinarisch und gesundheitlich besten Grillmethoden

VON THOMAS VILGIS

„Schnell ein Bier!“, hallt die Order allenthalben im Sommer durch Parks und Gärten, sobald die Grillsaison eröffnet ist. Der Mann, Herrscher über Elemente und Fleischvorräte, hantiert wild am Grill, versucht krampfhaft, Lendensteaks und magere Würstchen zu wenden, bevor sie völlig karbonisiert werden. Schon spurtet ein Helfer mit der Flasche zum Rost. Der Grillmeister reißt sie ihm aus der Hand und schüttet ihren Inhalt entschlossen über die Steaks. Es zischt gewaltig, Bierschwaden steigen auf, die rotglühende Kohle wird schwarz vor Nässe, und keine Sekunde später setzt das allgemeine obligatorische Bedauern ein, dieses Bier weggeschüttet zu haben.

Hier wurde tatsächlich ein Bier sinnlos verschwendet. Und auch die Lendensteaks und Würstchen hätten eine bessere Behandlung verdient, denn sie vertragen das Grillen überhaupt nicht beziehungsweise dessen Hitze. Grillfleisch und die -würstchen sollten vor Fett triefen, so dass es immer wieder zischt und sanft brutzelt, denn das eingelagerte Fett spielt eine zentrale Rolle. Schweinefett ist kein einfaches Fett wie Olivenöl, bei dem die Sache mehr oder weniger eindeutig ist. Zumindest, was dessen Fettsäuren anbelangt, besteht Olivenöl fast ausschließlich aus einfach ungesättigten Fettsäuren. Diese kommen zwar beim Schweinefett auch vor, zu etwa 50 Prozent. Das ist so weit eine gute Nachricht, denn insofern kann Schweineschmalz gar nicht so ungesund sein, aber darauf kommt es heute einmal nicht an.

Das Fettsäurenspektrum von Schweinefett ist weitaus reichhaltiger als das von Pflanzenölen. Allerdings enthält es auch die oft als Horrorfette deklarierten gesättigten Fettsäuren. Das ist natürlich keine rein tierische Angelegenheit. Sie finden sich auch in pflanzlichen Ölen wieder, etwa in Kokos- oder Palmfett. Logisch, denn bei tropischen Temperaturen dürfen Pflanzenfette am Baum weder schmelzen noch schnell ranzig werden. Die Pflanze würde sich nur selbst schaden.

Damit wird schon deutlich: Der immer wieder gern zitierte Sättigungsgrad von Fettsäuren ist nicht nur ausschließlich den Theorien von Diätassistentinnen oder Gesundheitsberatern zur Vorhersage über unser Unwohlsein vorbehalten, sondern er bestimmt auch eine ganze Reihe von physikalischen Eigenschaften. Etwa den Schmelzpunkt der Fette, und darauf kommt es uns heute an. Jeder, der dieses Jahr während des Winters eine neue Flasche Olivenöl aus seinem eiskalten Vorratskeller holte, konnte Folgendes beobachten: Das Olivenöl war weiß geflockt und fest. Durch die Kälte war die Temperatur unter 13 Grad gerutscht, weshalb die Fettsäuren im Olivenöl kristallisierten. In wärmeren Küchengefilden schmolzen die Kristalle auf, und das Öl verflüssigte sich wieder.

Das Schmelzen von Schweinefett kann ebenfalls direkt beobachtet werden: beim Speck-Auslassen. Das ursprünglich weiße Fett der Schwarte, der Modellschweinebauch fürs Experiment, wird in der heißen Pfanne schnell glasig, ja regelrecht transparent. Dabei schmelzen die Fettkristalle in den Zellverbänden auf, und nach und nach läuft das flüssige Fett in die Pfanne. Danach erwärmt es sich weiter, und ab etwa 120 Grad bräunt das Proteingerüst, bis daraus jene knusprigen Trümmer werden, die auf einem gemischten Salat eine gute Figur machen.

Gesättigte Fettsäuren schmelzen bei wesentlich höheren Temperaturen, je nach Art bei etwa 50 bis 70 Grad. Und diese haben entscheidenden Einfluss auf den Grillvorgang: Solange sie nicht vollständig verflüssigt sind, wird die Temperatur in ihrer Umgebung nicht über 70 Grad steigen.

So weit die Theorie. Aber was passiert tatsächlich beim Grillen, wenn ein gut durchwachsenes Schweinenackensteak zum Einsatz kommt? Das Fleischstück wird von der glühend heißen Kohle mit Hitze angestrahlt und befeuert. Sofort beginnt an der Unterseite ein wahres Feuerwerk physikalischer Vorgänge und vor allem chemischer Hektik, die in der beim Grillen so beliebten Kruste enden. Dabei geht es auch den Proteinen an den Kragen. Diese engstgewickelten Fäden rollen sich auf, garen somit und zerfallen bei starker Befeuerung in kleinere Bestandteile, die sich mit anderen Fleischbestandteilen verbinden und so eine braune Knusperkruste bilden. Währenddessen diffundiert die Hitze, das heißt, sie dringt langsam weiter nach innen. Dort beginnen bei entsprechender Temperatur die Fette zu schmelzen. Aber eben nicht alle auf einmal, sondern schön geordnet und gestaffelt nach Sättigungsgrad – die ungesättigten zuerst, dann die gesättigten. Solange diese aber nicht vollständig geschmolzen sind, steigt die Temperatur nicht. Dieser langsame und kontrollierte Schmelzvorgang der Fettsäuren benötigt immer Energie, die latente Wärme, so dass die Temperatur währenddessen im Innern des Steaks nicht weiter steigt. Das Steak wird weder trocken noch hart, sondern ist im Idealfall außen appetitlich gebräunt und zum Dahinschmelzen köstlich.

Das gleiche Verfahren funktioniert übrigens auch bei der Bierkühlung: Solange noch Eisbröckchen in dem mit Bierflaschen gefüllten Bottich herumschwimmen, steigt die Wassertemperatur nicht über null Grad, und das Bier bleibt auch an heißen Tagen schön kühl. Wie im Fleisch durch die Fettsäurenkristalle: Sie halten die Temperatur auf beschaulichen 60, 70 Grad, und erst wenn sie vollständig geschmolzen sind, der Phasenübergang von fest nach flüssig abgeschlossen ist, steigt die Temperatur im Inneren des Steaks weiter. Spätestens jetzt sollte das Fleisch von der Glut genommen werden, sonst wird es zäh. Fehlt das Fett, fehlt die natürliche Kühlung. Magere Stücke auf dem Grill sind deshalb wenig erbaulich – wer fettarm grillt, erhält ein abscheulich schmeckendes Resultat.

Selbstverständlich profitieren auch grillende Vegetarier von Phasenübergängen wie Schmelzen oder anderen Änderungen der Aggregatzustände – fest zu flüssig oder flüssig zu dampfförmig. Denn Wasser regelt auch, wenn es verdampft, die Temperatur. Ist noch genügend davon vorhanden, gart die Paprika auf dem Grill unter ihrer Haut schön langsam vor sich hin. Zwar erreicht die der Grillkohle zugerichtete Oberfläche schnell eine hohe Temperatur, aber das Wasser in den Pflanzenzellen verdampft nach und nach. Und hier gilt wieder dasselbe: Solange Wasser am Verdampfen ist, kann die Temperatur nicht über 100 Grad steigen. Das Innere von Paprika, Zucchini, Aubergine & Co dämpft lediglich sanft. Wer jetzt aber auf die Idee käme, dies rechtfertige, ein wässeriges Nackenstück vom Turbomastschwein auf dem Grill zu garen, ist schief gewickelt. Im Gemüse halten die stabilen Zellwände aus Stärke und Zellulose das Wasser viel länger und stärker fest als die Proteine des Schweinefleisches. So hat eben, selbst auf dem heißen Grill, alles seinen Preis.

Apropos Dampf: Die Bierdusche für Grillsteaks hat keinen dienlichen Effekt. Die Flüssigkeit trifft auf die heiße Fleischoberfläche, verdampft dabei mehr oder weniger schnell oder spült viele der gerade beim Grillen erwünschten Röststoffe fort, jedenfalls solche, die sich in Wasser und Alkohol lösen. Zugleich kühlt das Bier auch noch unsinnigerweise die Kohle, die Glut geht flöten und so bleibt nichts – außer unterbrochenem Garen und Bierdunst über dem Grill. Dieser Schluck sollte also besser trockene Kehlen befeuchten.