Willy ist gar nicht tot, er verkauft jetzt CDs

BERÜHRUNG Konstantin Wecker sang am Freitag in der UdK mit viel Gefühl Lieder für junge und älter gewordene Erwachsene. Anarcho, 68er, später Vater – wer sich auf diese Mischung einließ, erfuhr die Gnade der Erinnerung

Ja, das sind sie ja alle hier: gewesene Kinder, Menschen mit Erfahrungen, Zweifeln und Weltsichten

VON ANJA MAIER

Dies soll ein Text ohne Ironie werden. Ohne jene Abgrenzung, die autorenseitig gern bemüht wird, wenn Kunst wirklich berührt. Kunst – Musik in diesem Fall –, deren Wirkung einem im nachhinein ein bisschen peinlich ist. Weil man das nur noch ganz selten erlebt: berührt sein. Und weil man sich nicht ohne weiteres öffentlich berühren lässt. Dies ist also ein Text über Konstantin Weckers Berliner Konzert.

Erste Möglichkeit der Abgrenzung: das ziemlich betagte Publikum. Vor Konzertbeginn mustert man kritisch die Gewänder und die Filz-Accessoires der Frauen, die randlosen Gleitsichtbrillen und Cordjacketts der Männer. Die gedankliche Möglichkeit, diesen Abend als Senioren-Agitprop einzuordnen, lässt man jedoch fahren. Ist das hier nicht eher ein guter, selbstbewusster Stil, zu altern? Diese graugelockte Armada ist jedenfalls weitaus sympathischer als ein aufgebürstetes Opernpublikum samt Parfümwolke.

Zweite Möglichkeit der Abgrenzung: „Willy“. Das Saallicht erlischt, Wecker stürmt die Bühne, schwingt sich an seinen Blüthner und holt gleich das klassenkämpferische Komplettpaket raus. „Willy“. Das Lied über den, den sie erschlagen haben, grad gestern. Großes Kino, große Verbitterung, ganz großes Gejohle im Publikum. Man befürchtet Schlimmes: Geklampfe, Geschrei, Weltverbesserungspläne der schlichten Sorte. Aber Wecker bricht das gleich wieder. Willy, erklärt er dem Publikum, sei mitnichten erschlagen worden, nur verletzt. Wer ihn besichtigen wolle: Willy verkauft draußen im Foyer Weckers CDs und Bücher. Eine gute Nachricht nach all den Jahren.

Wie überhaupt diese Lieder die Erinnerung zurückbringen. Mitte der Siebziger, da war man ein Kind, und es gab diese Platten zu Hause: „Ich singe, weil ich ein Lied hab“, „Weckerleuchten“, „Genug ist nicht genug“. Man verstand höchstens die Hälfte, die andere Hälfte kam erst mit den Jahren. Für die meisten in der UdK – man hört es an den teils irre erfreuten Schreien – war diese Musik der Soundtrack ihres jungen Erwachsenenlebens. Guter Stoff. Es ging um Liebe und Politik, jede Menge Sex, auch Hilflosigkeit und Gewalt.

Konstantin Wecker hat vor vierzig Jahren schon ein verdammt großes Ego gehabt. Seine flirrendsten, barocken Lieder sind damals entstanden. So riesig ist dieses Ego heute nicht mehr. „Vierzig Jahre Wahnsinn“ heißt sein Programm. Inzwischen ist Wecker 67 Jahre alt. Er hat 42 Soloplatten aufgenommen, Musicals und Filmmusiken komponiert, Bücher geschrieben und geschauspielert. Er hat gekokst und war zweimal im Knast. Er hat sein Heil in der Kleinfamilie gesucht und gefunden. Er hat gerade einen irritierend wohlfeilen Friedensdemo-Aufruf unterschrieben. Er trägt jetzt eine Brille und eine etwas alberne Kette aus bunten Perlen. Er schwitzt nicht mehr so besorgniserregend beim Musizieren, er schnappt nach Luft nach einem Ragtime.

Und er wird nun dermaßen gefühlig, wenn er zurückschaut, dass man erst mal ganz panisch wird und nach der Abgrenzung sucht. Er singt in der UdK Lieder über den Wehdam, die Melancholie bayerischen Zuschnitts, und ein Lied für seine halbwüchsigen, flüggen Kinder. Er liest einen Text über seinen Vater. Alles trieft jetzt vor Gefühl. Vor Abschiedsschmerz und Kummer ob der eigenen Vergänglichkeit. Ein riesiger Teller süßer Wehmut, den Wecker seinem Publikum kredenzt. Ja, das sind sie ja alle hier: alternde Eltern, gewesene Kinder, Söhne, Töchter, Menschen mit Erfahrungen, Zweifeln und Weltsichten.

Dies hier wäre also die dritte Möglichkeit zur Abgrenzung. Ein günstiger Moment, genau die Textstelle, an der man schließlich doch noch ironisch werden dürfte. Aber man muss es ja nicht. Man darf bleiben und sich erinnern. An die eigenen Eltern, die man jetzt gern bei der Hand nehmen würde. An die Kinder, die nichts ahnen von diesem Moment. Und an sich selbst, wie man zehnjährig dem Knistern der Schallplatte gelauscht hat.