„Medaillen müssen her“

Ingo Schultz war 2001 Vizeweltmeister über 400 Meter – dann war er lange krank und verletzt. Nun will er es wieder wissen. Er spricht über sich, über Doping und das Einzige, was zählt im Sport

INGO SCHULTZ, 31, wurde 2001 Vizeweltmeister über 400 Meter. Im Jahr darauf holte er den Europameistertitel. 2003 erkrankte er an Pfeifferschem Drüsenfieber. Bei der Deutschen Meisterschaft am Wochenende in Erfurt will er sich für die WM in Osaka qualifizieren.

INTERVIEW SUSANNE ROHLFING

taz: Herr Schultz, was motiviert Sie, noch immer 400-Meter-Läufer zu sein?

Ingo Schultz: Mich fasziniert die Strecke. In jedem Wettkampf an die absolute Grenze gehen zu müssen und es auch zu wollen. Ich gehe mit Freude in die Wettkämpfe, auch wenn es manchmal nicht so wirkt.

Aber kann das für die Quälerei im Training entschädigen?

Natürlich sind es letztlich Erfolge, die einen antreiben. Aber wenn man gut trainiert und gut durchkommt, fällt einem das Training relativ leicht. Es macht Spaß, den eigenen Körper wahrzunehmen und zu merken: Ich werde schneller und schneller.

Sie waren WM-Zweiter 2001 und Europameister 2002, niemand würde sich wundern, wenn Sie längst als Elektroingenieur arbeiten würden.

Irgendwann muss dieser Schnitt kommen. Nach Olympia 2004 habe ich schon mal darüber nachgedacht. Aber da war ich im Halbfinale ausgeschieden und habe mir gesagt: So willst du nicht aufhören. 2005 war ich ganz verletzt, so wollte ich auch nicht aufhören. 2006 bin ich Achter bei den deutschen Meisterschaften geworden, so wollte ich auch nicht aufhören. Und in diesem Jahr läuft es wieder ganz gut.

Anfang des Monats sind Sie zum ersten Mal seit 2004 wieder unter 46 Sekunden. Was bedeutet Ihnen das?

Das war ein wichtiger Schritt, ein Zwischenschritt. Ich glaube schon, dass ich in diesem Jahr noch schneller laufen werde. Anfang des Jahres bin ich immer im 46er-Bereich gelaufen. Daher war diese halbe Sekunde schon mal ein guter Richtwert.

Stecken noch Zeiten unter 45 Sekunden in Ihnen? Ihre Bestzeit steht seit 2001 bei 44,46.

Die stecken auf jeden Fall noch in mir. Ich weiß nur nicht, wann ich sie laufen kann.

Sie führen momentan die deutsche Jahresbestenliste an vor Bastian Swillims, immerhin Zweiter der Hallen-EM.

Halle und Freiluft sind zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Von März bis Juli hat man eine ganz neue Vorbereitungsphase, da tut sich viel. Wenn man da nicht optimal durchkommt, ist es nicht so leicht, wieder eine gute Form aufzubauen.

Bleibt die Reihenfolge so bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt?

Wir haben ja beide noch das Ziel, die WM-Norm [45,55 Sekunden; d. Red.] zu laufen. Gewinnen kann nur einer, aber die Norm können wir beide schaffen.

Ende August beginnt in Osaka die WM. Wer könnten die schillernden Figuren des deutschen Teams werden?

Bei den Frauen Christina Obergföll [Europarekord im Speerwerfen; d. Red.], die ist so stark und stabil. Bei den Männern? Wer ist da so in Erscheinung getreten?

Ingo Schultz

Ingo Schultz muss sich noch weiterentwickeln. In der 400-Meter-Konkurrenz herrscht international ein sehr hohes Niveau. Ich fühle mich gut vorbereitet. Wenn das so weitergeht, denke ich schon, dass ich da ein Wörtchen mitreden kann. Aber wie weit nach vorne es geht, kann ich jetzt nicht sagen.

Bei der Tour de France überdeckt die Dopingthematik gerade alles Sportliche. Droht das der Leichtathletik auch?

Wir haben ja auch immer sehr viel mit dem Thema zu tun, jetzt hat uns der Radsport gerade ein bisschen den Rang abgelaufen. Das alles schadet dem Sport. In erster Linie schaden uns natürlich diejenigen, die betrügen. Aber ich glaube, dass die Medien dem Sport auch keinen Gefallen tun, wenn sie nur noch über Doping berichten. Aber das ist nicht so mein Thema. Ich glaube fest daran, dass man als sauberer Athlet in der Weltspitze mitlaufen kann. Man kann vielleicht nicht alles erreichen, aber viel.

Stabhochspringer Danny Ecker glaubt, dass man als sauberer Athlet keine Möglichkeit hat, sich vom Generalverdacht zu befreien.

Ich muss nur vor mir bestehen. Allen kann man es sowieso nicht recht machen. Beim Doping ist es nun mal so: Ich kann es nur selbst wissen. Nicht mal mein Trainer kann wirklich wissen, was ich mache.

Ist Ihnen egal, was die Öffentlichkeit denkt – etwa wenn Sie wieder WM-Zweiter werden und es heißt: Der ist voll bis oben hin.

Toll ist das nicht. Aber das haben vor sechs Jahren wahrscheinlich auch schon einige gesagt. In meinem Umfeld, bei den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, wäre es mir nicht egal. Aber ich weiß, dass sie zu mir stehen und mir vertrauen.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat sie beim Europacup mit einem speziellen Armband ausgestattet. Hilft es, ein Armband hochzuhalten und zu sagen: Seht her, ich bin sauber?

Für einen sauberen Sport einzustehen finde ich eine wichtige Botschaft. Aber machen wir uns nichts vor: Medaillen müssen her. Wenn ich für einen sauberen Sport kämpfe und laufe hinterher, habe ich da nichts von.