: Wie auf Watte
SINNE Im Barfußpark Egestorf gehen die Besucher über Steine, Bucheckern und durch Glasscherben. Das soll die Füße trainieren und einfach Spaß machen. Ein Selbstversuch
AUS EGESTORF FREDERIK SCHÄFER
Beim ersten Schritt habe ich Angst – vor dem bläulich schimmernden Boden, auf den ich meinen Fuß setze. Er besteht aus vielen kleinen Teilchen, die im Sonnenlicht glitzern. Sie sind aus Glas, verrät ein Schild. Ich denke an die Schnittwunden, die ich mir zuzog als ich auf eine kaputte Flasche trat. Ich setze erst den Fußballen auf und dann den Rest des Fußes. Der Boden unter mir knackt, es piekst in der Fußsohle, doch die befürchteten Schmerzen bleiben aus. Schon den zweiten Schritt gehe ich energischer.
Diese Mutprobe ist eine der 62 Stationen, die der Barfußpark im niedersächsischen Egestorf zu bieten hat. Auf einer 15 Hektar großen Fläche in der Lüneburger Heide führt ein Rundweg durch Waldstücke, über Wiesen und Bäche.
Nachdem Schuhe und Socken in einem Schließfach verstaut sind, beginnt der knapp drei Kilometer lange Rundgang mit einer nass-kalten Überraschung. Der Gang durch ein zehn Grad kaltes Wasserbecken soll den Organismus anregen und die Durchblutung fördern. „Je kälter die Füße sind, desto besser kann man die schmerzempfindlicheren Stationen überstehen“, sagt Jan Peters, der Inhaber des Barfußparks.
Ich gehe durch das Becken wie ein Storch und hebe jeweils einen Fuß aus dem kniehohen Wasser. Die Kälte zieht sich von den Füßen ausgehend durch den ganzen Körper. Als ich das Becken verlasse, sind die Füße blau angelaufen und kurz taub. Dann schießt das Blut mit Wucht zurück. Meine Füße prickeln.
Schuh-Sünden gut machen
Nach diesem ersten Schock warten verschiedenste Untergründe auf mich. Der Tannenreisig riecht wie mein Wohnzimmer zu Weihnachten und piekst nur leicht. Es ist zu ertragen. Die Steinuntergründe sind kalt. In die Kieselsteine sacke ich hinein und wühle mit meinen Zehen in ihnen.
Ich erwarte nichts Schlimmes, als ich auf den Pfad voller Bucheckern trete. Doch der überrascht mich – mit Schmerzen. Die spitzen Baumfrüchte bohren sich in meinen Fuß. Es fühlt sich an, als ob ich am Strand in Muscheln getreten wäre. Ich gehe zügig hindurch.
Auch wenn es weh tut: Barfuß zu gehen ist gesund – auch über Bucheckern. Denn dadurch müssen sich die Füße beim Gehen ständig an die Unebenheiten im Boden anpassen. „Das trainiert und stärkt die Fußmuskulatur und wirkt Fehlstellungen entgegen“, sagt der Hamburger Orthopäde Rainer Hofmann.
Das haben viele nötig: Über 80 Prozent der Menschen in Deutschland hätten Fußfehlstellungen, sagt Hofmann. Sie haben also etwa Platt-, Senk- oder Spreizfüße.Viele wissen davon nichts. „Barfußlaufen ist natürlich und kann helfen, die Sünden der falschen Schuhe wieder gut zu machen“, sagt Hofmann.
Und das kann auch richtig gut tun: Die glitschigen Wege durch Schlamm, Torf, Schlick, Matsch, Moor und Lehm machen mich glücklich, auch wenn sie nicht sehr einladend aussehen. Ich mag das Geräusch, wenn ich durch die bräunlichen, klebrigen Massen stapfe: Das Torf-Wasser-Gemisch etwa gluckst.
Und es fühlt sich gut an, wenn der Sud durch die Zehen flutscht – er ist sehr weich und angenehm. Wie wenn ich auf Watte laufen würde. Und zugegeben: Es macht Spaß, wenn man sich die Füße mal so richtig dreckig machen kann. Die Kinder und Erwachsenen vor mir auf dem Pfad johlen und kichern.
Besuch sinnlos bei Regen
Nachdem ich bei Sonnenschein über 45 Bahnen gegangen bin, ziehen dunkle Wolken über der Lüneburger Heide auf und es fängt an, wie aus Eimern zu gießen. Völlig durchnässt und fröstelnd ist es für mich kaum möglich, die Sinne zu aktivieren, zu spüren und schon gar nicht, diese Eindrücke zu genießen.
Also haste ich über Sand, Splitt und Kiefernzapfen. Die Zapfen pieksen um so stärker, je schneller ich über sie hinweggehe. Das Wetter-Problem sieht auch der Besitzer: „Wir sind natürlich auf gutes Wetter angewiesen“, sagt Peters. „Wenn es regnet, bleiben die Besucher verständlicherweise aus.“
Nach zwei Stunden bin ich am Ende des Rundgangs angekommen. Ich schaue auf meine Füße: Gelbe, schwarze, graue, braune und grüne Elemente lassen sich erkennen, Reste von dem Sand, dem Schlamm, dem Torf, den Zapfen, den Tannen. So dreckig waren meine Füße lange nicht mehr. Ich wasche sie und muss sie sehr lang bürsten und schrubben, damit sie wieder sauber sind.
Zurück in den Schuhen ist dennoch nicht alles auf Anfang. Der Dreck ist weg, doch das Gefühl bleibt. Ich schließe die Augen und jetzt merke ich, wie es angenehm kribbelt und prickelt, von den Zehen bis über die gesamte Sohle zur Ferse.
Barfußpark Egestorf, Ahornweg 9, Egestorf. Der Park ist bis zum 15. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 4 Euro, ermäßigt 3 Euro. Internet: www.barfusspark-egestorf.de
Weitere Barfußparks: Neukirchen (bei Niebüll), Schwackendorf (bei Kappeln), Großheide (bei Norden), Nienhagen (bei Hann. Münden)
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