„Ich musste den Pass in ein Loch stecken“

Als ich 1965 zum Studieren nach Westberlin kam, hatte ich bereits mein ganzes Leben in einer geteilten Stadt verbracht: Vor und nach meiner Zeit in Berlin lebte ich in Nikosia auf Zypern. Der türkische und der griechische Teil Nikosias sind getrennt, lange waren die Übergänge geschlossen.

Für mich war die Teilung dort so stark zu spüren: Nikosia ist eine kleine Stadt, jede Straße führte in eine Sackgasse. Als Mädchen war ich noch oft heimlich mit dem Fahrrad in den türkischen Nordteil hinübergefahren. Ich liebte die besondere Atmosphäre und die wunderbaren gotischen Kirchen dort. Vor allem aber fehlte mir nach der Schließung der Übergänge das Meer. Es war von einem Tag auf den anderen völlig aus dem täglichen Leben der Leute im Südteil verschwunden.

In Berlin fühlte sich die Teilung anders an: Berlin ist eine sehr große Stadt und viele Gebiete an der Mauer waren auch gar nicht bebaut. Aber ich kann mich sehr gut an die Geisterbahnhöfe der U-Bahn erinnern. Wie die Wachposten mit den Hunden am Bahnsteig patrouillierten. Und ich fuhr oft in den Ostteil der Stadt, weil es dort sehr gute Theater gab.

Im Kopf bleibt mir der Grenzübertritt am Bahnhof Friedrichstraße: Da gab es einen vollständig gekachelten Raum, dort musste ich meinen Pass in ein Loch stecken. Anschließend kam da eine Nummer heraus – einen Menschen sah man nicht.

Dann musste ich warten. Manchmal mehrere Stunden lang. So schaffte ich es nicht mehr in die Theatervorstellung, die Türen waren geschlossen.

Auch nach meiner Rückkehr nach Zypern hat die Berliner Mauer noch einmal eine Rolle in meinem Leben gespielt. Als ich 1989 vom Fall der Mauer hörte, war das der Punkt, an dem ich zum ersten Mal Hoffnung gefasst habe, dass sich auch in Zypern etwas ändern wird. Und 2003 kam dann das Jahr meiner Begegnungen mit der Vergangenheit: In Nikosia wurden Checkpoints in der Stadt eröffnet, ich sah nach 36 Jahren den türkischen Teil der Insel wieder.

Im gleichen Jahr bin ich nach über dreißig Jahren wieder nach Berlin gefahren. Im türkischen Teil Nikosias war alles wie früher, nichts schien sich verändert zu haben. Berlin dagegen war in der Zwischenzeit eine andere Stadt geworden.

Niki Marangou, 63, ist Schriftstellerin und Malerin. Sie wuchs in Nikosia, der geteilten Hauptstadt Zyperns, auf und studierte 1965 bis 1970 Soziologie in Westberlin.