Thema der Woche

Unruhen in Großbritannien

■ betr.: „London außer Rand und Band“, taz vom 10. 8. 11

In englischen Städten brennen die Häuser, Griechenland-Pleite und das gesamte südliche Europa kurz davor. Die USA nicht das erste Mal am Abgrund und das gesamte Bank- und Wirtschaftssystem mit sich ziehend. Beim Zusammenbruch des Kommunismus vor zwanzig Jahren war das Urteil über die Nichtfunktionalität des Systems schnell gefällt.

Ich frage mich nur, wie oft der Kapitalismus scheitern muss, Chaos, Nationalismus, Krieg und Hunger nach sich zieht, bis man erkennt, dass dieses System genauso falsch und unbarmherzig ist.

MARKUS MEISTER, Berlin

■ betr.: „Cameron will härter durchgreifen“, taz vom 10. 8. 11

Jetzt ist es schon so weit, dass man mit Kriegsvokabeln wie „Gegenschlag“ gegen die eigene Jugend und damit die Gesellschaft von morgen vorgeht,

weil man es versäumt hat, sie durch Bildung und Teilhabe in die Gesellschaft zu integrieren. Ich denke, wer an sozialer Sicherheit spart, muss dann mit innerer Sicherheit reagieren. Da sind wir in Deutschland bedauerlicherweise auf dem gleichen

Weg, was unsere Bildungs- und Sozialpolitik angeht. Kontrolle und Überwachung statt finanzieller Unterstützung und inhaltlicher Hilfe.

GROSCHAK, taz.de

■ betr.: „Königreich der Ungleichheit“, taz vom 11. 8. 11

Oh cry me a river! Es handelt sich laut Oliver Nachtwey also um „Proteste aus Angst, die keinen sozialen Regeln und Normen folgen (…) es ist ein Aufstand unterprivilegierter Jugendlicher“.

Wenn ich die aktuelle Berichterstattung im Guardian und auf BBC 5 Live verfolge und Interviews höre, in denen Plünderer sagen, dass ihnen ihr Verhalten einfach Spaß macht, sie sich an der Zerstörung erfreuen und sie Geschäfte plündern, weil sie dann kostenlos Konsumgüter mitnehmen können, für die sie sonst bezahlen müssten, obwohl sie sie sich leisten könnten, kann die These der armen, sozial Benachteiligten nicht standhalten. Es ist ein Vorwand, die Realität heißt mob-mentality.

Und „Angst“? „The police can do nothing.“ Anonym wird im Mob geplündert und zerstört. Was hat das mit Angst zu tun? Ich will nicht ausschließen, dass eine Minderheit der Leute, die da mitmachen, tatsächlich in sozial sehr schwierigen Verhältnissen leben. Ihre Eltern mögen arbeitslos sein, Alkoholiker und selbst gewalttätig. Die Einsparungen der konservativen Regierung (die wirken, als solle nur der Job von Maggy Thatcher abgeschlossen werden) machen alles noch schlimmer. Wie auch immer, gibt das niemandem das Recht, Geschäfte von lokalen Geschäftsleuten zu plündern und zu verwüsten und Wohnhäuser und Autos anzuzünden.

Hier werden keine großen, kapitalistischen Ketten getroffen. Es sind kleine, lokale Betriebe in der Nachbarschaft, deren Besitzer jetzt vor einem Scherbenhaufen stehen. Denen ein langer Streit mit ihren Versicherungen bevorsteht, bei dem sie am Ende vermutlich als Verlierer dastehen.

Sozial benachteiligt oder nicht, dieses Verhalten ist nicht zu rechtfertigen, und wer bei diesem Mob mitmacht, ist nichts weiter als ein Krimineller und muss dementsprechend bestraft werden.

JAN HANDEL, Essen

■ betr.: „Die unregierbare Weltstadt“, taz vom 10. 8. 11

„Mit Sozialprotest hat das alles nichts zu tun“! Ich kann nachvollziehen, dass nach Jahren in Afrika ein solches Urteil über die Jugendrebellion in London zustande kommt. Denen fehlt doch nicht wirklich was. Die haben doch alles und Langeweile im Überfluss! Aber die Perspektivlosigkeit großer Teile der Jugend auf der ganzen Welt stellt die soziale Frage auf bestürzende Weise. Und dass es keine politischen Antworten gibt, die der Rebellion ein klares Ziel geben könnten, macht die Lage noch hoffnungsloser.

In den Szenarien der gegenwärtigen globalen Wirtschaftskrise und dem hilflosen politischen Gewühle kommt die um alle Hoffnungen gebrachte Jugend überhaupt nicht vor. Das muss ihnen doch alles am Arsch vorbeigehen.

Selbst in den arabischen Ländern, wo die Jugendrebellion dabei ist, ein oder viele unbezwingbar erscheinende korrupte Machtsysteme mit beispiellosem Mut einzureißen, mangelt es an klaren politischen und sozialen Zielen. Das der Jugend vorzuwerfen – auch in London, wo sie „leichtfertig und dumm ihr eigenes Umfeld kaputthaut“ – greift entschieden daneben.

BURKHART BRAUNBEHRENS, Ebertsheim

■ betr.: „Königreich der Ungleichheit“, taz vom 11. 8. 11

David Cameron spricht von „Randalieren, Vandalen, Plünderern, die weder Gesetz noch moralische Grundlagen achten würden.“ Sie bringen es auf den Punkt, Herr Nachtwey: „Die Plünderungen sind Ausdruck eines abnormen Kampfes um Teilhabe an einer Gesellschaft, der die Moral abhandengekommen ist.“ Um es noch einmal deutlich zu machen: Nicht den Randalierern, sondern dem Konglomerat aus Politik (Gesetzgebung und Macht) und Kapital (Wirtschaft und Macht ) sind die moralischen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft abhandengekommen!

Geld wird in zunehmendem Maße von unten nach oben geschoben. Wann kommt das Umdenken? Wir brauchen eine Steuerpolitik, die steuert. Die Menschen haben ein Recht auf angemessene Arbeit. Es geht um die Würde der Menschen! Warum wird die Partei der Nichtwähler immer größer?

NORBERT VOSS, Berlin

■ betr.: „London außer Rand und Band“, taz vom 10. 8. 11

David Cameron, Premier der extrem undurchlässigen englischen Klassengesellschaft, zeigte erwartet wenig systemisches Verständnis und versprach in seiner Parlamentsrede den billigen Ausschluss der Plünderer aus Sozialprogrammen und Sozialwohnungen. Dies ist allerdings das Gegenteil von Resozialisierung und Integration.

Aber es lässt sich durchaus auf unbestimmte Zeit weiterwursteln: mit mehr Überwachungskameras, mit mehr Gefängnissen beziehungsweise deren Überfüllung und schließlich vielleicht doch mit dem Einsatz der Armee im Inneren.

Ceep calm, carry on and save the Queen!

ALBRECHT THÖNE, Schwalmstadt

■ betr.: „Die unregierbare Weltstadt“, taz vom 10. 8. 11

Ähnlich wie bei den Krawallen in der Banlieue von Paris ist die individuelle Motivation der Randalierer in London sicher meist nicht: „Ich möchte ein Zeichen gegen die Ungleichheit in dieser meiner Gesellschaft setzen, deswegen zünde ich jetzt das Auto meines Nachbarn an, der auch keine Kohle hat.“ Auch gibt es sicher, was das konkrete Handeln betrifft, derzeit keine andere adäquate Reaktion der Politik als massiven Polizeieinsatz. Was aber in hohem Maße inadäquat ist, ist nicht im selben Atemzug anzuerkennen, dass diese Unruhen – so sehr sie die Falschen treffen – eine Folge von desaströser Sozialpolitik sind. Nicht nur der aktuellen Regierung natürlich; das Potenzial für ein solches Ausmaß an Gewalt entsteht über Jahrzehnte und ich glaube nicht, dass es sich viel schneller wieder abbauen lässt.

Ein Erschrecken der britischen Politik über das, was sie da angerichtet hat, gefolgt von Maßnahmen, die Fehler der Vergangenheit rückgängig zu machen – das vermisse ich schmerzlich bei Camerons Rhetorik. Ob Sarkozys Kärcher oder Camerons Missachtung von Strafmündigkeit: Nicht die Reaktion mit massivem Polizeiaufgebot ist falsch, sondern solche Worte, die erkennen lassen, dass nicht nur der Wille zu Veränderung fehlt, sondern sogar die Einsicht, dass etwas grundlegend falsch läuft im eigenen Land. Darüber hinaus sind solche Reaktionen eine traurige Antithese zu den Worten eines Jens Stoltenberg, die erkennen lässt, wie wenig Demokratie und Rechtsstaatlichkeit tatsächlich nur noch verankert sind in den größten Ländern Europas. CHRISTIAN LEICHSENRING, Bielefeld

■ betr.: „London außer Rand und Band“, taz vom 10. 8. 11

Ich bin gerade in Oxford. Diese Stadt ist weit weg von den Randalen in London und in Manchester: Dafür ist sie zu „elitär“. Und doch fällt die große Kluft zwischen Reichen und Armen, Elite und Peripherie auch hier auf. Man begegnet immer wieder jungen Arbeitslosen auf der Straße, die schon um die Mittagszeit betrunken sind und Passanten belästigen. Die verinnerlichte Kontrolle funktioniert nicht mehr und die Antwort der Politik war bisher die Installation neuer Videokameras: in den Straßen, Bussen, Zügen, überall. Das reicht anscheinend nicht aus, um die Kontrolle aufrechtzuerhalten. Zu verlieren hat diese Jugend nichts mehr. Die Ordnung, die sie zur Prekarität zwingt, verdient bei ihnen keinen Respekt. Die Jahre von Blair haben auch dazu geführt, dass jede Hoffnung in eine politische, konstruktive Veränderung der Gesellschaft verloren gegangen ist, da alle Parteien gleich erscheinen. Wenn die Demokratie nicht mehr funktioniert, wird das Ausbrechen gesellschaftlicher Konflikte wahrscheinlicher, wie die Beispiele Spanien und Griechenland in den letzten Monaten zeigten.

In den englischen Zeitungen liest man nun nur von den „Riots“. Vom großen Abhörskandal, der Murdoch, Cameron und Scottland Yard betraf, nichts mehr. Auch die Rückkehr der Finanzkrise wird heute erst auf Seite 4 kommentiert. Ist der Zeitpunkt dieser Revolte wirklich ein Zufall? Warum erschoss die Polizei vor wenigen Tagen einen unbewaffneten Schwarzen und löste damit diese Protestwelle aus? Auf jeden Fall stützt die aktuelle Notstandssituation eine Ordnung, die gerade eine schwere Legitimationskrise durchmachte.

DAVIDE BROCCHI, Köln

■ betr.: „Power-Shopping“,taz vom 10. 8. 11

Kann diese Interpretation nicht nachvollziehen. Es ist doch nicht so, dass die Armen keinen Zugang zu Konsumartikeln hätten. Im Gegenteil: Klamotten, Handys etc. werden gerade auch von Menschen, die wenig Geld haben, als Statussymbol verstanden und dementsprechend stark nachgefragt. Ich verstehe es nicht als „die holen sich jetzt ihr Stück vom Kuchen“. Vielmehr ist es der finale Beweis, dass es der Kapitalismus geschafft hat, die Unterdrückten vollends zu verblöden und zu Konsumzombies zu erziehen. Anstatt wirkliche politische Forderungen zu stellen oder die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, fällt den Benachteiligten in einer westlichen Industrienation nichts Besseres ein, als Läden zu plündern und sich noch mehr Konsumartikel zu holen. Deprimierend. GOCKEL, taz.de

■ betr.: „Königreich der Ungleichheit“, taz vom 10. 8. 11

Na ja, is doch kein Problem, odda? Dafür wurde einer der reichsten Familien dieser Erden die Hochzeit ihres William mit, ich glaube 32 Millionen, von den arbeitenden Briten über die Steuern bezahlt.

Ein Wunder, dass es kracht? Ein Wunder, wenn es auch bei uns kracht? Es stinkt in Europa nicht mehr nur zum Himmel.

MACKA, taz.de

■ betr.: dito

„Großbritannien brennt – und Premier David Cameron spricht von Randalierern, Vandalen und Plünderern, die weder Gesetz noch moralische Grundlagen achten würden.

Und ich dachte schon, er meint die Banker.

THOMAS FLUHR, taz.de

Krawalle, Unruhen, Straßenschlachten. Seit in der vergangenen Woche ein 29-Jähriger bei seiner Verhaftung erschossen wurde, kommt es seit dem Wochenende in Stadtteilen Londons und anderen größeren Städten Großbritanniens immer wieder zu Protesten und Ausschreitungen. Menschen verlieren ihr Leben, ihre Geschäfte, Wohnungen und Autos.

Sind diese Unruhen das Werk randalierender Krimineller, die nur für Plasmafernseher „auf die Straße gehen“, oder sind sie Aufstand gegen soziale Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit? Und hat Großbritannien nur ein Problem mit „Randalierern“? Warum hört man nichts mehr vom Abhörskandal um Murdoch und Cameron und dem Polizeichef, der sich eine Kur mit 13.000 Pfund bezahlen ließ?

Die taz-LeserInnen haben dazu ihre eigenen, ganz unterschiedlichen Ansichten.