CHICKS ON SPEED RÜCKENFREI, ZOES NAGELLACK BEIM RAUCHEN, SYLVIE MARKS ROCKT DAS OHM
: Über allem rotes Licht

VON ULRICH GUTMAIR

Das Wochenende fing mit der Einweihung der Diskokugel des taz.plan an. Die Kolleginnen löschten alle Lichter auf der Etage, nur die Diskokugel tauchte gutes Essen und nette Gesprächspartner in Glitzerlicht. Am nächsten Tag plauderte ich mit Antonia über den Abend, irgendwie kamen wir aufs U-Bahn-Fahren zu sprechen. Am schlimmsten sei es, nach einem gelungenen Abend mit der U-Bahn nach Hause zu fahren, und dann verderben irgendwelche besoffenen Typen alles, meinte Antonia.

Am Samstag brachte uns die U 8 bis fast vor die Tür vom Radialsystem. Die Chicks on Speed feierten dort mit einer „Artformance“ ihre Ausstellung in der Galerie 401contemporary und ihr neues Album. Alle hatten sich leger, aber sehr ordentlich (mit viel Schwarz) angezogen, die Chicks wiederum traten in karnevalseken Nullerjahreoutfits auf, als wäre Electroclash eben erfunden worden. Melissa Logan überzeugte mit einem rot bedruckten Teil, das einem Operationskleid ähnelte und hinten komplett offen war, sodass man ihre graue Unterhose sah, wenn sie sich umdrehte.

Das war sexy, im Gegensatz zur ansonsten eher steifen Performance. Nicht einmal die Tänzerinnen tanzten oder taten aus welchen Gründen auch immer so, als könnten sie es nicht. Trost spendete wenigstens der von einem Beamer an die Wand geworfene, wohl digital erzeugte, von einem Muster zum anderen morphende Hintergrund.

Der Sound klang nicht besonders, dabei sei das Album gut, wie es später im Ohm hieß. Auch ein Cover von Tom Tom Club (an denen sich die Chicks erkennbar orientieren) riss es nicht raus, was das Artypublikum aber nicht daran hinderte, den Abend zu feiern.

Draußen beim Rauchen konnte man so lange den neonfarbenen Nagellack von Zoe bewundern, der gut zu ihren blonden Haaren passt. Das Problem mit diesen Farben sei allerdings, dass auch der Nagellackentferber nicht in der Lage sei, die durch sie erzeugte gelbe Tiefgrundierung aus den Nägeln wieder rauszubekommen, sagt Zoe.

Nachher will keiner mit zu Elektro, dabei ist das doch die Gelegenheit, dem Abend noch einen entscheidenden Dreh zu geben. Ich laufe allein rüber ins Ohm. Dort sieht es aus kurioserweise wie im alten Panasonic aus, alles schön weiß gekachelt. In der Mitte steht eine große, im Rechteck umlaufende Bar, darüber strahlt rotes Licht. Mo lässt grade die letzten Stücke ihres Elektrosound-Reenactment-Sets vor sich hin rollen. Dann ist Daniel Pflumm dran, der HipHop auflegt, darunter das Stück von Eric B. & Rakim, auf dem sie Ofra Haza gesampelt haben. In der Ecke läuft das Video, das den Abriss des Elektro zeigt.

Als Sylvie Marks anfängt, ist der Laden voll, der Dancefloor riecht nach Parfum. Sylvie Marks (sie trägt das superseltene E-Smog-Shirt mit dem Elektro-Logo auf dem Rücken) legt ein grandioses, dicht gemixtes Set hin, das Klassiker mit aktuellen Tracks auf eine Weise verbindet, dass man beim Tanzen nicht mehr weiß, wer man ist. Da holpert nichts, alles fließt dahin und kulminiert am Ende in „Been a Long Time“ von The Fog. Als Sylvie aufhört, gibt’s zu Recht Szenenapplaus.

Die Leute vom Ohm sind alle sehr nett. Aber als El Puma endlich anfängt, muss ich gehen. Die U 8 ist um die Ecke, die Bahn kommt auch gleich. Im Sechserabteil am Ende ein Mann allein im Rollstuhl. Er hat sich in die Hose gemacht, und ich frage mich, warum der Geruch menschlichen Kots so viel Ekel hervorruft. Ist das dem Leben in menschlicher Gesellschaft nicht abträglich? Was hat sich die Evolution da wieder gedacht?

Am Alex will der Mann raus, aber die Vorderräder haben sich zwischen Bahnsteig und Bahn verkantet. Ich bin wohl der, der am nächsten ist. „Ich schieb dann mal“, melde ich mich an, bevor ich den Mann mitsamt seinem Rollstuhl auf den Bahnsteig entlasse. Am Rosenthaler Platz frische Luft. Mal sehen, ob ich den Kater finde.