JANNIS PAPADIMITRIOU ÜBER DEN GRIECHISCHEN STAATSHAUSHALT
: Selbstverständnis in Athen

Die griechische Wirtschaft läuft besser als erwartet, heißt es. Was auch logisch ist, weil man ohnehin nicht viel erwartet hat. Genau hier liegt die Krux: Aus der Vorkrisenzeit hat Griechenland immer noch ein Glaubwürdigkeitsproblem, welches die europäischen Partner mit zweierlei Maß messen lässt: Wenn Griechenland einen ausgeglichenen Haushalt ankündigt, wird das misstrauisch beäugt. Wenn Frankreich en passant die Nichterfüllung des 3-Prozent-Defizitkriteriums meldet, wird lässig durchgewunken.

Die Griechen haben eine ganze Generation an die Arbeitslosigkeit verloren, bis zu 40 Prozent der früheren Einkommen eingebüßt, und eine anständige Rente ist auch nicht in Sicht nach dem Schuldenschnitt von 2011, der nicht zuletzt die Rentenkassen leer ließ. Nach einer fünfjährigen Schuld-und-Sühne-Therapie wäre es an der Zeit, dem Patienten etwas Hoffnung zu vermitteln – unabhängig von der Frage, ob die aus Brüsseler Sicht unerwünschte Linkspartei auf dem Sprung zur Macht ist. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder? Aber leider sind so manche EU-Partner hauptsächlich mit eigenen Wehwehchen beschäftigt.

Was nicht bedeuten soll, dass die politische Klasse in Griechenland keine Verantwortung an der Misere trägt. Im Gegenteil: Sämtliche Reformen und Reförmchen werden weiterhin von ewiggestrigen Politikern und privilegierten Berufsgruppen verhindert – mit einer Vehemenz, die den Ernst der Lage völlig verkennt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es kann nicht sein, dass man jahrelang hochdramatisch über die Frage debattiert, ob Babymilch exklusiv in der Apotheke oder auch im Supermarkt verkauft werden darf. Griechenland braucht eine „Revolution des Selbstverständlichen“. Ob die in Sicht ist? Selbstverständlich nicht.

Wirtschaft + Umwelt SEITE 8