„Feminismus? Kannte ich gar nicht“

NACHRUF Marie Marcks galt als Deutschlands berühmteste Karikaturistin. Für die Frauenbewegung wurde sie zu einer bewunderten Kämpferin. Über die Künstlerin mit der unabhängigen Position und der kritischen Grundhaltung

■ ist Direktorin des Museums Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover. Diesem hat Marie Marcks im Mai dieses Jahres ihren zeichnerischen Nachlass, welcher über 2.000 Illustrationen aus fünf Jahrzehnten umfasst, übergeben. Die Karikaturistin wünschte sich, dass ihr künstlerisches Werk geschlossen erhalten bleibt.

VON GISELA VETTER-LIEBENOW

Klug, pragmatisch und selbstbewusst – so war Marie Marcks. Leidenschaftlich gern hat sie diskutiert und für „ihre“ Themen gekämpft, allen voran für die Frauenemanzipation. Sie war dabei „für Frauen stets eine Mutmacherin auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung“, wie es Jutta Limbach einmal formuliert hat. Am Sonntag ist Marie Marcks in Heidelberg im Alter von 92 Jahren gestorben.

Marie Marcks wusste, wovon sie sprach, wenn sie „Frauenleben“ zeichnete: fünf Kinder hat sie meist allein großgezogen – und sich zugleich in der von Männern dominierten Karikaturenszene durchgesetzt. 1922 in Berlin geboren, wuchs Marie Marcks in einer durch und durch künstlerisch geprägten Umgebung auf. Ihr Vater Dietrich Marcks war Architekt, ihre Mutter Else Marcks-Penzig Buchgrafikerin und Zeichenlehrerin an der Berliner Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums sowie an ihrer eigenen Kunstschule und ihr Onkel Gerhard Marcks Bildhauer. Bei der Mutter hatte Marie Marcks auch ihren ersten Zeichenunterricht erhalten – und noch bis vor wenigen Jahren hat sie an dem Arbeitstisch der Mutter ihre Karikaturen gezeichnet.

Eines ihrer Themen: Wettrüsten in Ost und West

Marie Marcks’ Hinwendung zur Karikatur steht in engem Zusammenhang mit den politischen Debatten in Deutschland in den 50er Jahren: Die Atombombenversuche der Amerikaner, die Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland und der Beitritt zur Nato mit dem darauf folgenden Wettrüsten in Ost und West waren auch für Marie Marcks beherrschende und alarmierende Themen. Es formierte sich die Friedensbewegung gegen die nukleare Abschreckung im Zeichen des Kalten Krieges, gegen das „Gleichgewicht des Schreckens“.

Marie Marcks erlebte die Entwicklung bereits seit Ende der 50er Jahre in Amerika, wo ihr damaliger Mann 1957 in Yale sein Post-Doctor-Fellowship angetreten hatte und am National Laboratory in Brookhaven Strahlungsversuche unternahm.

Über die Verflechtung von Forschung und Rüstung wurde zwischen ihr und ihrem Mann heiß diskutiert, und in der Zeitschrift Atomzeitalter machte sie 1963 ihrem Protest Luft: „Meine bevorzugten Themen“, so schrieb sie im Rückblick, „waren immer wieder die Wissenschaftler, die bewusst oder unbewusst dem Militär zuarbeiten.“ Und so werden in einer Zeichnung aus den Hühnerdieben Max und Moritz Soldaten, die sich aus der „Suppenküche“ des Wissenschaftlers hochexplosive Sprengkörper holen: Schwupdiwup! Da wird nach oben ein Bömbchen schon heraufgehoben.

Das zentrale Thema im Werk von Marie Marcks aber war die Rolle der Geschlechter: Mit ihren Zeichnungen hat sie die Frauen-Emanzipation zu einem Thema der Karikatur gemacht. Dabei verstand sie sich zu Anfang nicht als Feministin: „Feminismus? Kannte ich gar nicht. Ich habe immer meine eigene Position gehabt.“ Für die Frauenbewegung wurde Marie Marcks jedoch zu einer bewunderten Kämpferin für ihre Rechte.

So gewichtig der Anteil der Frauenthemen in ihrem Werk auch ist, so wenig hat sich Marie Marcks darauf beschränkt. Sie wolle nicht, so hat sie einmal in einem Interview festgehalten, „genau in die Nische abgedrängt [werden], in die Frauen immer geschubst werden: weg von der großen Politik, hin zu Sozial- und Frauenthemen“. Deshalb hat Marie Marcks über zwanzig Jahre lang für die Süddeutsche Zeitung gezeichnet, ihre Karikaturen aber auch in der Zeit, im Spiegel, im Stern oder im Vorwärts veröffentlicht, ebenso wie in der bereits erwähnten Zeitschrift Atomzeitalter und in der Pädagogikzeitschrift Betrifft: Erziehung. Themen, die sie besonders berührt haben, waren neben dem atomaren Wettrüsten die Zerstörung der Umwelt, die Asylrechtsdebatten und der Rechtsradikalismus. „Politische Karikaturen, die bloßstellen statt belustigen, haben es nicht leicht“, sagte Marie Marcks, die auch bekannte: „Ich bin mit Abstand die meist indizierte Zeichnerin bei der Süddeutschen.“

Es war das ständige Sich-Einmischen, Sich-Engagieren, dieses Den-Mund-nicht-halten-Können, das Marie Marcks vor allem auszeichnete

Blättert man durch ihre vielen Karikaturen, stößt man auf viele eindringliche Blätter, auf Zeugnisse ihres politischen Engagements, manchmal auch ihrer Wut. So sagte Marcks einmal, es gehe ihr stets „um Aufklärung und Agitation, na ja, und manchmal auch um Wutablassen. Meistens werden die Karikaturen gut, wenn man sich wirklich aufgeregt hat. Und dann bedarf es der Umsetzung ins Lächerliche. Wenn die Leute über eine Situation lachen können, dann ist natürlich auch Bosheit dabei.“

Immer neugierig auf andere Positionen

Es war das ständige Sich-Einmischen, Sich-Engagieren, dieses Den-Mund-nicht-halten-Können, das Marie Marcks vor allem auszeichnete. Bis zuletzt gab es auch kaum ein Gespräch mit ihr, das nicht ganz schnell in eine angeregte Diskussion über aktuelle politische Ereignisse oder grundlegende gesellschaftliche Missstände mündete.

Marie Marcks war dabei immer auch neugierig auf andere Positionen – und sei es nur, um ihre eigene Argumentation zu schärfen. Und so zeichnet ihr Werk auch eine eindeutige, unabhängige Position aus, eine kritische und skeptische Grundhaltung, die aus einer bemerkenswerten Unbestechlichkeit ihrer Sicht der Dinge resultiert. Im Mai 2014 konnte das Museum Wilhelm Busch, das Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkunst die Übernahme ihres künstlerischen Werkes vermelden. Zur Pressekonferenz war Marie Marcks ein letztes Mal nach Hannover gekommen. Die mit ihr verabredete große Ausstellung über ihr Gesamtwerk im Sommer des nächsten Jahres kann sie nun nur noch von einer höheren Warte aus begleiten.