AKWs im Norden dürfen mal abschalten

Atomkraftwerk Brunsbüttel bleibt abgeschaltet. Experten suchen nach Mängeln im Sicherheitsbehälter des Uralt-Meilers. Vattenfall will gebrauchten Transformator für den stillgelegten Reaktor Krümmel. Auch AKW Unterweser außer Betrieb

In Norddeutschland sind zurzeit sechs Atomkraftwerke am Netz, die nach dem Atomkonsens vom Juni 2000 bis 2020 stillgelegt werden müssen. Brunsbüttel wurde im Juni 1976 in Betrieb genommen und soll im Jahr 2009 abgeschaltet werden. Die Termine für die anderen Meiler sind: Unterweser, März 1978, 2012; Krümmel, September 1983, 2017; Grohnde, Mai 1984, 2018; Brokdorf, Oktober 1986, 2019; Emsland, August 1988, 2020. Als erster Reaktor ist das im Januar 1974 in Betrieb genommene älteste AKW Stade bereits im November 2003 abgeschaltet worden. Die genauen Termine für die Stilllegung errechnen sich auf der Basis der jeweiligen Reststrommengen, die im Atomkonsens für jeden Meiler festgelegt wurden. Im Jahresdurchschnitt erzeugen die noch aktiven sechs Reaktoren etwa 57 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom. Das entspricht etwas mehr als einem Drittel des Verbrauchs in den vier norddeutschen Bundesländern. Im vergangenen Jahr war Brokdorf nach Berechnungen des Deutschen Atomforums mit einer Leistung von 11,78 Mrd. kWh das zweit-produktivste Atomkraftwerk der Welt. Auch die AKWs Emsland und Grohnde rangierten unter den strahlenden Top Ten.  SMV

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Der Pannenreaktor Brunsbüttel wird jetzt verschärft unter die Lupe genommen. Gestern begannen unabhängige Experten mit der Untersuchung fehlerhafter Halterungen im Sicherheitsbehälter des Atomkraftwerks an der Unterelbe, das am Wochenende komplett abgeschaltet worden war. Die Prüfung im Auftrag des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums, das für die Atomaufsicht im Lande zuständig ist, soll mindestens bis morgen dauern.

Wann der älteste noch aktive Meiler Norddeutschlands (siehe Kasten) wieder ans Netz darf, ist nach Angaben von Ministeriumssprecher Oliver Breuer „zurzeit nicht absehbar“. Das hänge natürlich davon ab, „ob weitere Mängel gefunden werden“. Dann dauere es „eben länger“.

Vollkommen offen ist ebenfalls, wann das nach einem Trafo-Brand Ende Juni abgeschaltete AKW Krümmel wieder hochgefahren wird. „Dafür haben wir keinen Zeitplan“, versichert Breuer. Aus politischer Sicht gebe es „noch einige offene Punkte“. So müsse geklärt werden, ob Krümmel mit nur einem Transformator und mit höchstens halber Leistung wieder ans Netz gehen könne.

Betreiber Vattenfall hingegen will den Reaktor bei Geesthacht nach Beendigung der Revisionsarbeiten etwa Ende August „so schnell wie möglich“ wieder anfahren, erklärte Unternehmenssprecher Ivo Banek gestern. Derzeit werde auch die Option geprüft, irgendwo in Deutschland einen gebrauchten Transformator zu kaufen. „Ein Neubau würde zu lange dauern“, sagte Banek im Gespräch mit der taz nord. Es gebe aber eventuell die Möglichkeit, einen Reserve-Transformator eines anderen Atommeilers nach Krümmel zu transportieren. Über technische und finanzielle Einzelheiten mochte Banek sich allerdings nicht äußern. Die Kosten dürften aber bei mehreren Millionen Euro liegen.

Das abgeschaltete Atomkraftwerk Unterweser soll hingegen Anfang September wieder hochgefahren werden, deutete das niedersächsische Umweltministerium gestern an. Am Wochenende war bei der jährlichen Revision eine fehlerhafte Einstellung des Notkühlsystems aufgefallen. Einer der vier Stränge sei nicht voll funktionsfähig gewesen. Als Ursache gilt eine fehlerhafte Justierung des Systems nach der Jahresüberprüfung 2006.

Dieser Umstand löste gestern eine heftige politische Debatte aus. „Wenn ein Jahr lang nicht festgestellt wird, dass eine Sicherheitskomponente nicht richtig greift, ist das ein ernsthaftes Problem“, stellte der Fraktionschef der Grünen im Hannoveraner Landtag, Stefan Wenzel, fest. „Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“

Wenzel forderte, den Fall auch von politischer Seite restlos aufzuklären. Der Vorfall sei ein weiterer Beweis für die Unsicherheit insbesondere älterer Reaktoren, so Wenzel. „Wir wollen wissen, welche Bauteile in diesem AKW 30 Jahre alt sind und welche erneuert wurden.“

„Wir dürfen nicht den GAU abwarten, um endlich zu reagieren“, befand auch der SPD-Spitzenkandidat und frühere niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner. „Wirkungsvoller und sicherer Klimaschutz ist nur durch den Ausbau regenerativer Energien zu erreichen.“ Eine Sprecherin des Reaktorbetreibers Eon wies die Kritik zurück. Es gehöre gerade zu einer „hohen Sicherheitskultur, aus so einem Vorfall geeignete Maßnahmen abzuleiten, um eine Wiederholung auszuschließen“.

In Hamburg hat die rot-grüne Opposition längere Laufzeiten von Atomkraftwerken entschieden zurückgewiesen. CDU-Bürgermeister Ole von Beust hatte signalisiert, auf den von Senat und Vattenfall geplanten Bau des Kohlekraftwerks Moorburg zu verzichten, falls die norddeutschen Atommeiler länger am Netz bleiben dürften.

Angesichts der jüngsten Störfälle sei diese Forderung verantwortungslos, kritisierte die SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal. „Alte Reaktoren wie Krümmel und Brunsbüttel sollten vielmehr schneller vom Netz als geplant.“ Der grüne Umweltexperte Christian Maaß betonte, für den zügigen Umstieg auf erneuerbare Energien seien „verlässliche politische Rahmen- und faire Wettbewerbsbedingungen“ notwendig. Genau diese aber verhindere der „klimapolitische Laiendarsteller“ von Beust, wenn er „wöchentlich wechselnde Ansichten zur Energieversorgung vertritt“.

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