Verwirrung um Strategie-Papier

ERZIEHUNG Sozialsenator verweigert Stellungnahme zu Umbau der Familienhilfe. Über das entsprechende Schreiben habe er nicht entschieden

■ Der Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung ist im Paragraf 27 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verankert. Eltern haben Anspruch auf Hilfe, wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist.

■ Bei einer Familienhilfe gehen Sozialarbeiter in die Wohnungen. 2010 gab es 2.679 Fälle.

■ In dem Hamburger Staatsräte-Papier wird vorgeschlagen, die Einzelfall-Hilfe von der Regel zur Ausnahme zu machen und möglichst durch Gruppenangebote, etwa in Kitas oder Schulen, zu ersetzen. KAJ

SPD-Sozialsenator Detlef Scheele hat am Freitagabend im Familienausschuss eine Stellungnahme zu einem Strategiepapier aus seinem Hause abgelehnt. Wie berichtet, regt dieses Schreiben eine gravierende Änderung des Rechtsanspruchs auf Familienhilfe an auf Bundesebene. Doch auf die Frage von Abgeordneten, wie dies gemeint sei, blockte der Senator ab.

„Er sagte, die Behördenleitung habe nicht über das Papier entschieden. Deswegen werde man sich nicht dazu äußern“, berichtet die GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke. Sie wirft Scheele nun „Verwirrung“ vor. Denn gegenüber der Presse hatte Scheeles Sprecherin bestätigt, dass Hamburg das Papier bei einem Treffen der SPD-Sozial-Staatsräte in Berlin vorgelegt hat. Blömeke: „Entweder hat Scheele keine Ahnung, was in seiner Behörde passiert, oder er verweigert sich einer wichtigen Diskussion“. Wer überlege, einen Rechtsanspruch abzuschaffen oder aufzuweichen, müsse sich auch der Debatte stellen.

Die GAL hatte das Papier zugespielt bekommen. Den Wunsch der anderen Fraktionen, es zu erhalten, lehnte Scheele ab. Es sei kein Geheimpapier, da auch im Internet zugänglich. In der Tat findet sich auf der Homepage des IJOS-Instituts für Jugendrecht ein Download. Der Titel des daneben stehenden Textes ist deutlich: „Staatssekretäre fordern Abschaffung des individuellen Rechtsanspruchs“.

Hintergrund der Debatte sind steigende Kosten der Erziehungshilfen. Mehrere SPD-Bezirksamtsleiter machten dafür im Abendblatt die Träger der Erziehungshilfen mitverantwortlich. Diese könnten im Prinzip selbst entscheiden, wer welche Hilfe erhielte, und hätten freien Zugriff auf Steuergelder.

Für Michael Edele von der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW) ist das eine „Frechheit“: „Die Jugendämter entscheiden, welche Familie welche Hilfe bekommt“. Dass die Kosten stiegen, liege an den Umständen, so Edele. In etwa 60 Prozent aller Fälle bezögen die Familien auch Hartz IV. Ohne Rechtsanspruch würden die Behörden weniger Hilfe gewähren.

Der Jugendhilferechtsexperte Christian Bernzen bezweifelt, dass es zu einer Gesetzesänderung kommt: „Ich sehe verfassungsrechtliche Bedenken“, sagt SPD-Mitglied Bernzen. Der Staat sei laut Grundgesetz verpflichtet, die Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Das Kernproblem sei ein anderes. Es gebe kaum eine vernünftige Hilfeplanung, bei der unaufgeregt geguckt werde, „was eine Familie kann und was nicht.“ KAIJA KUTTER