Die Realität der dehnbaren Begriffe

THEATER Hans-Werner Kroesingers Stück „Exporting War“ lädt zu einem Kurzrundgang über die Waffenmesse in Abu Dhabi ein. Im HAU in Berlin ist das Stück Teil des Programms „Waffenlounge“

Mit der Rechtfertigung von Waffeneinsatz und mit deren verheerenden Folgen befasst sich die „Waffenlounge“ im Theater

Die deutsche Rüstungsindustrie boomt. Erfolgszahlen überall: Der Schwarzwälder Waffenhersteller Heckler & Koch verdoppelte seinen Umsatz binnen sechs Jahren. Milliarden Auftragsvolumen auch bei Rheinmetall. Deutschland steht als Exporteur von Waffen nach den USA und Russland an dritter Stelle. Hochpräzise deutsche Kleinwaffen gehören zu den am meisten verbreiteten in der Welt, so die Selbstdarstellung einer wachsenden Branche, die an „Force Protection“ appelliert und ihre Produkte als „Grundbedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Schutz“ verkauft.

Solch selbstbewusst-serviler Dienstleistungston durchzieht die Aufführung „Exporting War“ wie ein roter Faden. Der Regisseur Hans-Werner Kroesinger hat für seinen neuen Abend Ausschnitte aus Firmenpräsentationen, Politiker- und Unternehmerreden rund um das Thema Waffenhandel zusammengeschnitten. Zutage tritt die glatte Sprache einer Branche, die in das Geschäft mit dem Krieg verstrickt ist, aber von Schäden und Opfern ablenkt, indem sie mit den Errungenschaften und Vorteilen argumentiert.

Zum Beispiel die Hochpräzisionstechnik des Sturmgewehrs G36: geringeres Gewicht, höhere Feuerkraft und Trefferquote. Lächelnd erklärt Performerin Katrin Kaspar die technischen Vorzüge und Neuerungen, „bei Handfeuerwaffen sind wir die innovativsten“. Wie auf einer Betriebsfeier mit anschließender Unternehmensführung lässt Kroesinger seine fünf Spieler Fakten und Hintergründe ausbreiten. Mal an Stehpulten in kleinen Interviews oder referierend wie auf einer Betriebsbesichtigung, bei der man sich nur von der besten Seite zeigt.

So offenbart der Theaterabend das Doppelgesicht einer Branche, die moralisch mit der Sicherung einheimischer Arbeitsplätze in mittelständischen Traditionsunternehmen für sich werbend argumentiert, aber gleichzeitig Menschen zu „Weichzielen“ erklärt.

Kroesinger hat für sein Projekt einmal mehr gründlich recherchiert. Man kann ihn sich als Theatermacher vorstellen, der täglich die Medien durchforstet, immer auf der Suche nach dem Material für seine Dokumentartheaterabende über private Sicherheitsfirmen, afrikanische Krisenregionen oder die Arbeit von Frontex an Europas Außengrenzen. An die aktuelle Nachrichtenlage dockt „Exporting War“ perfekt getimt an. Sigmar Gabriels Vorstoß, die Rüstungsexporte strenger als bisher zu kontrollieren – damit beginnt der Abend –, wird die politische Realität dehnbarer Begriffe entgegengesetzt.

„Friedenstörender“ Waffenhandel darf laut Kriegswaffenkontrollgesetz nicht genehmigt werden. Aber was heißt das? Längst werden Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien geliefert, ein Tabubruch in der Exportpolitik, oder eben eine „Neuausrichtung“, wie die Performer smart referieren. Je unbeherrschbarer neue Bedrohungen wie ISIS erscheinen, desto suggestiver scheint die Politik den Rüstungsunternehmen in die Hände zu spielen, die Schlupflöcher im Kontrollsystem zu nutzen oder wie Heckler & Koch die Auflagen der Bundesregierung gezielt zu umgehen.

Mit Kroesingers Projekt begann das Festival „Waffenlounge“, das am Berliner HAU bis zum 11. Januar läuft. Mit der Rechtfertigung von Waffeneinsatz und mit deren verheerenden Folgen befassen sich die Themenabende, Filme und Diskussionen. Als Höhepunkt wird Rimini Protokolls „Situation Rooms“ zu sehen sein. Die Geschichten von Polizisten, Sportschützen, Flüchtlingen, und anderen Nutzern und Opfern von Waffengewalt sind in den Abend eingeflossen. Jeder Zuschauer wird die Installation mit einem iPad betreten, das ihn selbst zu einem Akteur macht, der über die Bilderebene aufs Geschehen Einfluss nimmt (siehe taz vom 11. 8. 2014).

Dass in Krisengebieten zukünftig immer mehr medial gesteuerte, unbemannte Drohnen eingesetzt werden, ist auch der finale Gedanke an Kroesingers Abend. Die Faktenmenge provoziert zwischendurch Ermüdung. Doch dieser letzte Teil zieht noch einmal an. Die Performer simulieren einen Kurzrundgang über die Waffenmesse in Abu Dhabi, die demnächst autonom entscheidende und handelnde Drohnen präsentiert. Eine Science-Fiction-Vision, aber so wie „Exporting War“ die Rüstungsfirmen als Entwickler technischer Innovationen vorstellt, rückt diese Realität beklemmend näher. Der gelungene Abend zweifelt nicht an, dass Rüstungsexport bestimmten Notwendigkeiten folgt, aber suggeriert ein System aus sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen, in denen die Wirkung der Waffen, ihre Konfliktlösung- oder verstärkung, spekulativ bleibt.

SIMONE KAEMPF

■ „Exporting War“ wieder am 13./ 14., 16./17., 19./20. Dezember im HAU 1 in Berlin zu sehen