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: Herthas Suche nach dem wahren Gesicht

BUNDESLIGA Am zweiten Spieltag holen sich die Berliner den ersten Punkt beim HSV – mehr als verdient

Was ist sie denn nun, die Hertha? Ist sie die Mannschaft, die zu Hause gegen Nürnberg schlecht kickte und verlor, oder das Team, das gegen einen erschreckend schwachen Hamburger SV gut und 2:2 (1:1) spielt? „Das ist unser wahres Gesicht“, versichert Peter Niemeyer, einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler. Trainer Markus Babbel beginnt vor 52.100 Zuschauern im Volksparkstadion mit Raffael für Pierre-Michel Lasogga im zentralen offensiven Mittelfeld, und dem überragenden Ramos als einziger Sturmspitze, den die HSV-Innenverteidiger Michael Mancienne und Debütant Jeffrey Bruma nie zu fassen bekommen.

Zu fassen bekommt Hertha-Innenverteidiger Andre Mijatovic den HSV-Stürmer Mladen Petric. Und zwar am Trikot, Petric fällt dankbar und verwandelt den Strafstoß mit Schmackes in die Mitte (25.), während Hertha-Keeper Thomas Kraft in die linke Ecke fliegt. Bis dahin hat der HSV keine Torchance gehabt, Hertha durch den Ex-HSVer Tunay Torun (8.) und Ramos (23.) schon zwei. Danach weitere zwei: Der rechte Außenverteidiger Christian Lell hebt den Ball über HSV-Keeper Jaroslav Drobny an die Querlatte, Raffaels anschließenden Schuss lenkt Drobny an den linken Pfosten (33.). Der Übergang von Pech zu Slapstick.

Kein Wunder, dass sich die Klage über verpatzte Chancen durch die Bemerkungen aller Berliner zu diesem Spiel zieht: „Schade, dass wir so viele Torchancen ausgelassen haben, wir waren über 90 Minuten die bessere Mannschaft“, findet Hertha-Geschäftsführer Michael Preetz. „Wir haben so viele Chancen gehabt“, sagt Niemeyer, „und alle richtig gut herausgespielt, kein Zufall.“ Torun erklärt, „dass wir uns das 2:2 erarbeitet haben, aber es wäre mehr drin gewesen“, und Mannschaftskapitän Mijatovic findet, „dass wir heute alles gezeigt haben, was man in der Bundesliga braucht“, und dass er „mit der Leistung zufrieden ist, nicht mit dem einen Punkt“, und dass „man den Elfer geben kann, ich hab ein bisschen gezogen“.

In der 43. Minute wehrt Drobny einen guten Schuss von Andreas Ottl zur Seite ab, auf der Torun steht, der zum Ausgleich abstaubt. Kaum hat die zweite Halbzeit begonnen, schießt der überragende Ramos den Ball an die Querlatte, Hertha wird immer besser, immer überlegener, dominiert das Spiel, diktiert das Tempo, vom HSV kommt – außer Kampf – nichts mehr. Doch wieder gehen die Rothosen in Führung: Heung Min Son gewinnt den Ball von Niemeyer in einen Zweikampf, es könnte der einzige in diesem Spiel gewesen sein, und läuft auf schnellen Beinen Richtung Hertha-Tor, Niemeyer kommt nicht mit, Son schießt, der Ball setzt auf, drin (61.).

Der HSV hat nun zwei Chancen, das Spiel zu entscheiden, was äußerst unverdient wäre. Aber er nutzt sie nicht. Kurz vor Schluss köpft Mijatovic einen Eckball von Raffael, an dem Drobny vorbeisegelt, ins Tor (88.). Babbel spricht von einem „fast perfekten Spiel. Wenn es perfekt gewesen wäre, wären wir der Sieger.“ Er lobt seine Mannschaft für „große Laufbereitschaft“, „Kampfgeist“, aber auch „Intelligenz“. Wenn Hertha so weiterspielt, ist ihr Verbleib in der Liga sicherer als der des Hamburger SV, der von Anfang an dabei und noch nie abgestiegen ist. Und das mit den Gesichtern ist doch so: Wir alle haben mehr als eins, und zwei sind gar nicht viel.

ROGER REPLINGER