Zwischen Schockstarre und Neubeginn

BOETTICHER-RÜCKTRITT Die CDU in Schleswig-Holstein debattiert über das Personalkarussell im Landeshaus. Boetticher muss wohl Fraktionsvorsitz aufgeben, aber im Landtag bleiben, um Mehrheit zu erhalten

„Ein Spitzenamt hat andere Ansprüche, und diesen muss man auch gerecht werden“

Peter Harry Carstensen

Mit einem Knall endete die politische Sommerpause in Schleswig-Holstein: Der Fall des CDU-Spitzenmannes Christian von Boetticher sorgt für Wirbel im Kieler Landeshaus, und statt Urlaubsfotos tauschen die Abgeordneten die neuesten Gerüchte aus. Vor allem in der CDU herrschte eine Stimmung zwischen „Schockstarre“, wie die Nachrichtenagentur DPA fand, und Hoffnung auf einen „Neubeginn“, wie die Konkurrenz von DAPD es sah. Die Landtagsfraktionen halten sich mit Verlautbarungen zurück, inoffiziell aber reichen die Reaktionen von Kopfschütteln bis Entsetzen.

Dass der 40-Jährige von Boetticher als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat zurücktritt, stand bereits seit Sonntagabend fest, nachdem der Politiker eingeräumt hatte, dass er vor gut einem Jahr für einige Monate mit einer damals 16-Jährigen zusammengewesen war. Dies sei ein „politischer Fehler“ gewesen, für den er sich entschuldige.

Unklar ist noch immer, wie es mit dem Fraktionsvorsitz weitergehen wird, den von Boetticher ebenfalls inne hat. „Dies muss die Fraktion entscheiden“, so Hans-Jörn Arp, Mitglied im Landesvorstand der CDU. Da es sich um kein Parteiamt handele, habe der Parteivorstand dazu nichts gesagt.

Die Fraktion will am heutigen Dienstag zur Mittagszeit zusammenkommen, doch bereits im Lauf des Montags sickerte durch, dass von Boetticher auch von diesem Amt zurücktreten werde. Als mögliche Nachfolger sind die bisherigen Vize-Vorsitzenden Hans-Jörn Arp (59) und Johannes Callsen (45) sowie Tobias Koch (37), finanzpolitischer Sprecher der Fraktion, im Gespräch.

Künftig muss von Boetticher als Hinterbänkler Platz nehmen, denn sein Mandat als Abgeordneter wird er nicht nur behalten dürfen, sondern sogar müssen, um die Koalitionsmehrheit nicht zu gefährden. Denn die CDU/FDP-Regierung hat nur einen einzigen Sitz mehr als die vereinigten Oppositionsparteien SPD, Grüne, Linke und SSW.

Zwar gilt prinzipiell, dass ein Nachrücker den freien Stuhl übernehmen könnte. In diesem Fall würde die Landeswahlleiterin einen Unions-Abgeordneten nachrücken lassen, sagte gestern ein Landtagssprecher. Fraglich ist jedoch, ob das gerichtlich akzeptiert würde. Das Parlament in seiner jetzigen Zusammensetzung steht auf wackeligen Füßen, seit das Landesverfassungsgericht Fehler im früheren Wahlgesetz und juristisch fragwürdige Überhangmandate für die CDU bemängelt hat. So könnte die Opposition gegen das Nachrück-Verfahren klagen und damit Neuwahlen noch in diesem Jahr erzwingen.

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der am Sonntag geschwiegen hatte, meldete sich am Montag zu Wort: Seiner Ansicht nach habe von Boetticher mit seinem Rücktritt die richtige Entscheidung getroffen. „Ein Spitzenamt anzustreben, hat andere Ansprüche, und diesen Ansprüchen muss man auch gerecht werden“, sagte Carstensen im NDR. Es tue ihm leid, dass es zum Rücktritt gekommen sei und ebenso um Boetticher persönlich, so der Ministerpräsident weiter, der sich in der Vergangenheit für von Boetticher eingesetzt und ihn in die Spitzenämter gelobt hatte.

Zum möglichen Nachfolger, Wirtschaftsminister Jost de Jager, sagte Carstensen: „Ich sehe ihn als einen charakterfesten, ordentlichen Kerl, und ich bin begeistert über das, was er geleistet hat in der letzten Zeit.“ Entscheiden müssten die Parteigremien und die Mitglieder. EST/SMV

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