OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

In der Filmszene Berlins war der Produzent und Regisseur Joe May in den 1910er und 1920er Jahren eine feste Größe. Stets lockten den in Wien geborenen Filmemacher die abenteuerlichen und kolportagehaften Stoffe: May schuf spannende Detektivserials und drehte große Melodramen („Hilde Warren und der Tod“, 1917) mit seiner Frau Mia May in der Hauptrolle. Unsterblich machte er sich, als er 1921 auf seinem Studiogelände in Woltersdorf bei Berlin mit dem aufwändigen Monumental-Zweiteiler „Das indische Grabmal“ den dynamisch-dekorativen Prototyp des deutschen Abenteuerfilms schuf. Ab Mitte der 20er Jahre drehte May auch bedeutende Filme für die UFA (darunter das Kriminalmelodram „Asphalt“, 1929), musste nach der Machtübernahme der Nazis als Jude allerdings 1933 aus Deutschland fliehen. In Hollywood erhielt er nur noch wenige Aufträge, was die Familie May in schwere finanzielle Nöte brachte. Joe May verstarb 1954. Das Brotfabrik Kino erinnert an den Filmpionier mit einer „Langen Nacht des Joe May“, in der die Filme „Hilde Warren und der Tod“, „Asphalt“ und „Buccaneer’s Girl“ (1950) gespielt werden, Letzterer ein amüsanter Piratenfilm mit Yvonne DeCarlo nach einer Idee von May. (14. 12., Brotfabrik)

Mit einem Piraten eröffnet auch die umfassende Musical-Filmreihe „All Singing, All Dancing: Hollywood-Musicals 1933–1957“, siehe auch Seite 5. In Vincente Minnellis „The Pirate (1948) spielt und tanzt Gene Kelly als eigentlich harmloser Schauspieler der angebeteten Manuela (Judy Garland) den berüchtigten Seeräuber Macoco vor, weil die Schöne davon träumt, von ebenjenem entführt zu werden. Beeindruckend ist neben Kellys dynamisch-athletischem Tanzstil vor allem die Technicolor-Farbgestaltung des Films, die das piratenfilmtypische Rot ganze Szenen überfluten lässt. (OmU, 12. 12. Arsenal)

1974 fuhr Volker Koepp erstmals mit seiner Kamera nach Wittstock, um dort das Leben der Textilarbeiterinnen Edith, Elsbeth und Renate in drei Kurzfilmen zu dokumentieren. Über die Jahre kehrte immer wieder zurück zu den inzwischen längst mit ihm befreundeten Frauen, erzählte in neuen Filmen von beruflichen Aufstiegen und Rückschlägen sowie den privaten Hoffnungen. „Wittstock, Wittstock“ (1997) rekapituliert diese Geschichten noch einmal und ergänzt sie um die Erfahrungen der Frauen in der Zeit nach der Wende: Die Abwicklung des Bekleidungsbetriebes führte zu Arbeitslosigkeit, Umschulung, ABM-Maßnahmen und für Edith und ihren Mann sogar zum Wegzug aus Wittstock, um in Süddeutschland eine neue Arbeit zu suchen. Die Protagonistinnen trotzen den Herausforderungen mit Humor und Überlebenswillen, Koepp dokumentiert es mit Empathie. (15. 12. Urania)