Den Niemand verkörpern

THEATER Mit Texten von Franz Kafka und Lewis Carroll erschaffen Schauspielstudenten der UdK ein „Wunderland“ der absurden Machtverhältnisse

Was ist er blass, lang und dünn. Die personifizierte Unscheinbarkeit im Regenmantel. Das Publikum starrt ihn dennoch an, er steht ja im Scheinwerferlicht. Und spricht, die Arme an den Leib geklemmt: „Und überdies, kann ich es nicht machen, wie ich es immer als Kind bei gefährlichen Geschäften machte? Ich schicke meinen angekleideten Körper.“ Dann malt er sich aus, wie sein Ich im Bett liegen bleibt, während der „angekleidete Körper“ aufs Land fahren muss.

Diese fein ausgedachte Spaltung, durch die der junge Schauspieler Meik van Severen flutscht wie bald darauf durch einen Spalt in der Wand, stammt von Franz Kafka. Aus Ausschnitten aus dessen Romanen und Erzählungen haben sich Schauspielstudenten der Universität der Künste zusammen mit dem Regisseur Fabian Gerhardt und zwei Kommilitonen vom Studiengang Szenisches Schreiben eine großartige Spielvorlage montiert. Im Uni.T, einem großzügig geschnittenen Theatersaal der UdK, führen sie die Collage auf, in die später auch Motive von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ einfließen. Zwei nebeneinanderliegende Bühnenbilder werden dabei bespielt – ein Büro bei Kafka, eine Tischgesellschaft bei Carroll –, und sowohl der Blick aus den Fenstern wie das Klettern über die Brücken der Beleuchter wird ausgenutzt. Diese studentische Produktion ist visuell reich.

Vor allem aber gelingt es den acht DarstellerInnen, den Witz in Kafkas Bildern herauszupräprieren, das Schrauben an den Konstruktionselementen von Individuum und Gesellschaft in körperliche Aktionen zu übersetzen. Wie gedeckelte Schulkinder hocken sie an den Bürotischen, um bald darauf im Takt von Stempeln einen stampfenden Ausbruch zu versuchen.

Jeder Monolog, jeder Dialog dreht sich um die Positionierung: wer Zugang zum Vorsteher bekommt und wer nicht, wer Geheimnisse weiß, wer befehlen darf. Wie geht es weiter nach oben? Was auch aus der konkreten Erfahrung eines historisch weit zurückliegenden Angestelltenlebens kommt, erscheint dabei erstaunlich nah an den Konkurrenzverhältnissen der Gegenwart und den vagen Versprechen von Vorteilen für die Angepassten. Nur dass nie aufgedeckt wird, wie die Regeln lauten und wer sie aufstellt.

Einzelne Szenen sind großartig, etwa wenn Meik van Severens linke Hand gegen seine Rechte kämpft und beide auf dem Tisch das ganze Drama von Autorität, Unterwerfung, Bestrafung und Erniedrigung ausfechten. Um Dominanz geht es auch bei fast allen Begegnungen zwischen Männern und den vier Frauen, die im Ohrfeigenverteilen und Männerflachlegen erstaunlich geschickt sind. Da wundert es schließlich wenig, wenn Vanessa Loibl, strahlend und erhitzt, wie aus heiterem Himmel eine Hinrichtung befiehlt.

Das Interesse an Hinrichtungen und Willkür ist nicht das einzige Bindeglied, das die beiden Schriftsteller Franz Kafka und Lewis Carroll in dieser Produktion als Brüder im Geiste auszeichnet. Auffallend und von den Spielern bestens genutzt ist auch das Spiel beider Autoren mit der Personifizierung des Niemands und den semantischen Störungen, die dessen Auftritt verursacht. Bei Kafka unternehmen die Niemande einen Ausflug ins Gebirge, bei Carroll laufen sie mit einem Boten um die Wette. Die Präsenz der Schauspieler bei der Darstellung dessen, den es nicht gibt, macht nicht nur Vergnügen, sondern taugt auch als theaterphilosophische Figur. Der Körper ist immer noch da, auch wenn er Nichts verkörpert.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Wunderland“; wieder am 12./13./14./18./19. und 20. 12. im Uni.T, Fasanenstr. 1 B, 19.30 Uhr