„Man muss die Hierarchie umgehen“

Bremen bekommt einen neuen Generalmusikdirektor, der die Fehler seiner Vorgänger vermeiden will – die pflegten die Stadt im Streit zu verlassen. Auch das Verhältnis zum jugendlichen Publikum soll sich mit Markus Poschner, der von der Komischen Oper Berlin kommt, nachhaltig verändern

Die Bremer Philharmoniker sind das erste deutsche Orchester mit privater Mehrheitsbeteiligung: Vor fünf Jahren wurde das damalige „Staatsorchester“ in eine GmbH umgewandelt, seither tragen die MusikerInnen neben der künstlerischen auch unternehmerische Verantwortung. Diese anfangs misstrauisch wahrgenommene Reform erbrachte einen Abo-Zuwachs von über 50 Prozent. An den Projekten der vor kurzem gegründeten „Musikwerkstatt“ haben bereits über 3.500 Kinder und Jugendliche teilgenommen. Schwierig gestaltet sich die Mitfinanzierung durch die Minderheitsgesellschafter. Der Kürzungsversuch seitens des Bremer Theaters, in dem die Philharmoniker fast zwei Drittel ihrer „Dienste“ leisten, konnte abgewiesen werden. Der städtische Zuschuss ab 2007/08 ist allerdings immer noch offen. Dabei hatte eine so unverdächtige Institution wie der Rechnungshof dem Orchester bereits vor einem Jahr attestiert, deutlich mehr als die bisherigen 6,4 Millionen Euro zu benötigen.  HB

INTERVIEW HENNING BLEYL

taz: Herr Poschner, mit Beginn der kommenden Spielzeit sind Sie Generalmusikdirektor der Freien Hansestadt Bremen – das klingt nach einer Mischung aus oberstem Ratsmusikus und Bundeswehr-Bläsercorps. Wie definieren Sie das Amt?

Markus Poschner: Dieser Titel spielt für mich eigentlich keine Rolle. Nirgendwo sind Titel sinnloser als in der Kunst. Aber als Musiker, der sich mit dem Repertoire aus fünf Jahrhunderten auseinander setzt, bin ich jeden Tag unter anderem auch mit Entstaubungs-Arbeiten beschäftigt – insofern stört es mich nicht, dass der „Generalmusikdirektor“ aus einem anderen Jahrhundert stammt.

Einen anderen schönen Titel bekommen Sie in Gegensatz zu Ihren Vorgängern ohnehin nicht, weil ihn der künftige Theaterintendant Hans-Joachim Frey selbst übernimmt: den des Operndirektors.

Die Auswahl der Sänger und des Repertoires entscheiden wir gemeinsam, da setzt keiner etwas durch, das der andere nicht will. Und beide wollen wir ja das bestmögliche Ergebnis.

In der Sache geht es darum, dass Frey das Bremer Musiktheater neu strukturieren möchte. Mehr Aufführungen en bloc statt über die Spielzeit verteilt, zahlreiche Gäste, und mit dem „Opernstudio“ wird eine Art Volontär-Modell geschaffen. Ist das die richtige Richtung?

An meinem derzeitigen Arbeitsplatz, der Komischen Oper Berlin, machen wir es, was die Blockbespielung angeht, ähnlich. Es hat große Vorteile für die Qualität, wenn die Aufführungen eines Werkes zeitnah aneinander liegen. In Berlin haben wir allerdings ein sehr großes hauseigenes Ensemble, in dem sich die Sänger gut entwickeln können. Aber Freys Vision hat auch hier ihre Vorteile: Man gewinnt Flexibilität und kann spezifisch casten. Ein toller „Nabucco“ ist ja nicht automatisch ein guter „Graf“ in „Figaros Hochzeit“.

Wie beurteilen Sie das bisherige Bremer Musiktheater?

Es gibt eine richtige Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem. Das gefällt mir gut. Meine Aufgabe wird mitunter sein, dafür zu sorgen, so nah wie möglich stilistisch an die unterschiedlichsten Werke heranzukommen. Es ist immer eine große Herausforderung, heute Ligeti und morgen Verdi zu spielen. Da muss jeder hochkonzentriert in den Graben gehen und bereit sein, sich wieder neu zu erfinden.

Ihre Vorgänger haben Bremen nicht in bester Erinnerung: Günter Neuhold hat sich mit dem Orchester heillos zerstritten, der Vertrag des jugendlichen Hoffnungsträgers Lawrence Renes wurde vorzeitig aufgelöst, weil er in Bremen nie richtig Fuß fasste. Wie lassen sich solche Enttäuschungen vermeiden?

Ich habe eine genaue Vorstellung von dem, was ich mit den Bremer Philharmonikern erreichen will. Ich spüre dabei, die Musiker vertrauen mir. Dieses Vertrauen ist notwendig. Es muss auch die Balance zwischen der Arbeit vor Ort und außerhalb Bremens stimmen, das ist nicht nur für meine eigene Entwicklung wichtig. Das Orchester braucht ebenfalls die Chance, mit anderen Dirigenten zusammen zu sein und von ihnen inspiriert zu werden, sonst wird es ja von meiner Sicht der Dinge erdrückt.

In Bremen residiert auch die Deutsche Kammerphilharmonie, die nicht nur auf ihren ausgedehnten Tourneen stets Furore macht. Aber wenn man aus einer Stadt mit sieben Orchestern kommt, ist es wahrscheinlich schon positiv, hier wenigstens zwei vorzufinden.

So kann man es auch sehen. Es sind zwei hervorragende Klangkörper, die eine klare Aufgabenverteilung und inhaltliche Position haben. Wir haben diese große Tradition, wir sind das Orchester der Stadt, und zwar seit 182 Jahren. Insofern sind wir auch Ansprechpartner für alle hier in Bremen, und programmieren einen Abo-Zyklus, der die unterschiedlichsten Blickwinkel auf das große symphonische Repertoire bietet.

Sollen die Philharmoniker auch etwas mobiler werden?

Auf jeden Fall. Aber unsere diesbezügliche Freiheit ist natürlich begrenzt, wenn regelmäßig der Vorhang im Theater aufgehen soll.

Welche Akzente wollen Sie rein orchestral setzen?

Mich reizt vor allem das romantische deutsche Repertoire. Das passt zu den Philharmonikern mit ihrem eigenen wunderbaren Klang. Bremen hat diesbezüglich ja auch eine sehr reichhaltige Tradition. Brahms spielte hier schon immer eine große Rolle, er ist als Pianist erstmals mit den Bremer Philharmonikern aufgetreten. Richard Strauss hat in Bremen unter anderem seine „Elektra“ dirigiert, dazu kommt ein intensiver und ganz früher Kontakt zu Beethoven. Diese drei Namen will ich in den Mittelpunkt stellen, auch um sie dann mit Kontrasten strapazieren zu können.

MARKUS POSCHNER, 36, gilt unter anderem der Berliner Zeitung als „bemerkenswerteste Begabung unter den jungen deutschen Dirigenten“.

Wie verschafft sich der Jazzpianist Poschner im Generalmusikdirektor Gehör?

Ich genieße die Freiheit, nicht in Kategorien musizieren zu müssen. Ich profitiere in der Klassik vom Jazz und umgekehrt – aber ich sage es lieber gleich: Den Begriff „Crossover“ kann ich nicht ausstehen.

Simon Rattle lässt seine Philharmoniker mit einer Big Band auftreten. Keine gute Idee?

Doch, natürlich. Auch, was der wunderbare estnische Komponist Erkki-Sven Tüür, ehemals Rockmusiker, sich so ausdenkt, finde ich phantastisch. Aber es ist leider richtig schwer, eine wirklich überzeugende Mischung hinzukriegen. Und ich kenne jede Menge miserable Beispiele.

Die Kinder- und Jugendarbeit der Bremer Philharmoniker ist gut ausgebaut und preisgekrönt. In welcher Form bringen Sie sich da ein?

Es gibt in der Tat eine fantastische Grundlage. Mein Bestreben ist es, die Betreuungspyramide weiter aufzubauen: Also nicht nur an der Basis mit Kindern zu arbeiten, sondern auch dort, wo sich keiner mehr hintraut: zu den 13- bis 16-Jährigen. Man braucht natürlich ein wirklich gutes, interaktives Konzept, um sie abzuholen. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, Klassik einfach in einen Showrahmen zu pressen. Man muss auf viel geschicktere Art und Weise die Hierarchie zwischen Bühne und Publikum umgehen. In der Musik geht es ja auch darum, Zeit anders zu erleben, einzutauchen in eine andere, nicht-visuelle Welt. Insofern müssen wir den Jugendlichen zeigen, dass auch sie selbst aktiv gefordert sind. Das Schlimmste, das wir tun könnten, wäre, das Wesen der so genannten klassischen Werke einfach zu leugnen, nur um attraktiv sein zu können. Da gute Konzepte zu finden, ist immer viel Arbeit, aber zugleich auch ein riesiger Spaß.