Der Chef scheißt alles zu

Der Kontrakt der Zeichner: Der Berliner Animationsfilmer Olaf Encke setzt auf die selten gewordene Handarbeit. Drastisch sind seine Parabeln über Macht und Eitelkeit. Trickfilme für Erwachsene

VON ANJA VIOHL

Auch Disney hat es vor einigen Jahren getan: Das Unternehmen ließ seine Zeichenabteilung, das ehemalige Herz der Trickfilmproduktion, dichtmachen, um auf die neue Effekte bringende 3D-Animation umzuschwenken. Aus Zeichnern wurden Computeranimatoren, die ihren Figuren nun am Bildschirm Leben einhauchen. Die meisten ehemaligen Kommilitonen des Berliner Animationsfilmers Olaf Encke, mit denen er an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen studierte, arbeiten heute so, viele davon in München. „Aber alle guten Zeichner, die noch hier geblieben sind, sammeln wir auf“, sagt der 40-Jährige und lacht. Und hält die Fahne hoch „für den guten alten Zeichentrickfilm“.

Hier, das ist der Standort seiner Miniproduktion in der Linienstraße in Mitte. „Inkarnatoons“ ist in einem der wenigen Häuser untergebracht, die einem neuen Farbanstrich noch trotzen – ähnlich wie Olaf Encke und seine Partnerin Claudia Romero der Computertechnologie und den Verlockungen der Sommertage. Schon seit Monaten hocken sie hier, in zwei kleinen, von Rollos abgedunkelten Räumen, damit ihr neuer Film bis Jahresende fertig wird: die Geschichte von Jesus, einem Schaf, aus der Perspektive von Judas, einem Ziegenbock, erzählt.

Eine Handvoll von Zeichnern und Zeichnerinnen, keiner älter 30, helfen, die neuen Filmhelden in Bewegung zu setzen. Immer wieder surren ihre elektrischen Radiergummistifte und rascheln die Papierseiten, die sie vor- und zurückblättern. „Die Leute stellen sich immer vor, dass wir ein Bild nach dem anderen zeichnen“, erklärt Olaf Encke, „wir arbeiten aber an etwa fünf bis acht übereinander liegenden Blättern gleichzeitig, die zusammen einen Bewegungsablauf ergeben. Beim Zeichnen flippen wir mit den Fingern zwischen den Seiten hin und her.“ Am Computer werden die Sequenzen später zusammengesetzt und die Bilder koloriert. „Jedes Pixelchen, das später auf der Leinwand zu sehen ist, ist irgendwann mal durch unsere Hände gegangen“, führt Encke aus.

Der Arbeitsaufwand des Projekts, das ausschließlich durch Filmfördergelder finanziert wird, ist groß: Pro Tag schafft hier ein Zeichner gerade mal zwei Filmsekunden. Aber Encke glaubt daran: Nur, wenn die Zeichner ihre Gefühle direkt aufs Papier brächten, kämen „seine Kinder“ wirklich lebendig rüber.

Der Animator setzt auf Tiere, um seine Sicht auf die Gesellschaft auf die Leinwand bringen. Er schöpft dabei immer auch aus persönlicher Erfahrung. Sein erster, mit Preisen überhäufter Kurzfilm „Gack Gack“ wäre vielleicht nie zustande gekommen, hätte Encke sich nicht jahrelang durch die unterschiedlichsten Branchen gejobbt.

„Gack Gack“ ist eine bitterböse Satire auf Arbeitshierarchien und Mobbing. Das Nilpferd Dr. Brock gibt einen autoritären Bürochef, die seine im Akkord auf Schreibmaschinen einhackenden Mitarbeiterinnenhühner schikaniert. Ein kumpelhaft wirkender Teamsupervisor ist das Chamäleon Martin, der zwar von allen geduzt werden muss, sich am Ende aber als der wahre Tyrann herausstellt. Vor allem die bis ins Letzte durchkomponierte, übersteigerte Mimik und Gestik der Figuren bestechen, typische Verhaltensweisen von Chefs und Angestellten werden wie unter einer Lupe betrachtet und gleichzeitig ins Groteske gezogen.

Die expressiven Figuren agieren vor schlichten Dekors, Details sind aussagekräftig in Szene gesetzt. Einige von Enckes Bildern sind zweifellos drastisch. Der Nilpferdboss spritzt mit Fäkalien und scheißt damit im wahrsten Sinne des Wortes seine Tippkolonnen zu. Und die als großeutrige Kuh dargestellte Chefsekretärin muss sich im Akt sexueller Erniedrigung vor dem Chef selbst melken. Aber genau hierin sieht Encke die Stärke des Mediums Animationsfilm. „Man kann Grenzen überschreiten, und das Publikum verzeiht es viel eher als bei einem Realfilm.“

Manchen Zuschauern und Kritikern, die „Gack Gack“ auf Filmfestivals sahen, waren trotzdem einige Szenen zu brutal, und auch den Vorwurf des Sexismus hat Encke öfter gehört. „Meine Filme funktionieren eben immer auch auf einer archaisch-primitiven Ebene“, sagt er.

Das wirkt in einigen Momenten auch ein wenig klischeehaft, wenn beispielsweise in seinem zweiten Film „King of Fools“ eine hüftenschwingende, barbusige Gazelle ihre Reize zeigt. Aber in erster Linie ist der Film eine Studie erfolgloser, männlicher Balz- und Annäherungsversuche. Ein Frosch, als Archetyp des Underdog, bläht sich in Gegenwart der Frau zu verschiedenen Typen auf, zum intellektuellen Marabu, der labert, bis es weiß vor seinem Schnabel schäumt, oder zu einem Affen, der mit Witzen zu beeindrucken sucht. Auch hier lässt Encke eigene Erfahrungen durchblicken. Er hat irgendwann festgestellt: „Frosch bleibt Frosch.“

Erst mit 30 Jahren studierte er Animation und hat damit gerade noch die „letzte Ausfahrt“ aus seinem bisherigen Jobberdasein genommen. Unter den vielen Nerds, die er während seines Studiums kennen lernte, war auch seine Freundin Claudia Romero. Beide haben ihr Ziel klar vor Augen. Möglichst bald wollen sie einen lang Trickfilm produzieren, der dann vielleicht sogar im Kino läuft und nicht nur auf Festivals oder im 3sat Nachtprogramm, wo man diese Samstagnacht ab 1.05 Uhr auf Enckes „King of Fools“ warten kann.