Anarchie, Ekstase, Reife

PUNK-CABARET Mit unbändiger Energie begeistern die Vaudeville-Punks World/Inferno Friendship Society schon lange. Das neue Album „The Anarchy And The Ecstasy“ überrascht nun mit ungewohnt dunklen Zwischentönen

Die Musik der Vaudeville-Punks besitzt bei allem Frohsinn und Witz ein Gift

VON ANDREAS SCHNELL

Eine innige Beziehung verbindet die Brooklyner World/Inferno Friendship Society mit Norddeutschland. Als die Vaudeville-Punks vor dreizehn Jahren zum ersten Mal in Bremen gastierten, spielten sie noch im Keller des Naturfreundejugendhauses in der Buchtstraße. Seitdem ist die Formation, die ausdrücklich keine Band sein will und sich eher als Kollektiv versteht, in wechselnden Besetzungen regelmäßig in der Stadt zu sehen. Und seit ein paar Jahren haben sich die Bande nach Bremen noch verfestigt: In Deutschland erscheinen die Platten der Friendship Society inzwischen bei dem in Bremen ansässigen Label Gunner Records.

Ebendort ist gerade das neue Album der World/Inferno Friendship Society mit dem wunderbaren Titel „The Anarchy And The Ecstasy“ erschienen und das bietet eine moderate Weiterentwicklung dessen, was die Band auf Bühne und Tonträger seit Jahren kultiviert: seit jeher speist sich deren Musik aus verschiedensten Einflüssen – Soul, Klezmer, Swing und noch einiges mehr –, mit einem Drive zusammengeführt, den die meisten der rund 30 Mitglieder des Kollektivs aus der Punkszene mitgenommen haben.

Im Gegensatz zu den frühen Veröffentlichungen der Brooklyner, die deren geradezu legendäre Bühnenenergie schlicht nicht einfangen konnten, gelingt dies auf den letzten Alben durchweg – obwohl die World/Inferno Friendship Society nicht zuletzt immer auch ein visuelles Phänomen ist und Sänger Jack Terricloth erst auf der Bühne seine Qualitäten vollkommen entfaltet.

Auch „The Anarchy And The Ecstasy“ macht da keine Ausnahme – und doch klingt die Society trotz stilistischer Kontinuität plötzlich deutlich anders. Was nicht zuletzt damit zu tun haben mag, dass seit den letzten Studioaufnahmen einige Mitglieder ausgestiegen sind – es kursierten gar Gerüchte von einer Auflösung. Die internen Verwerfungen mögen ihre Schatten auch auf die Musik geworfen haben, die nun dunkler klingt und bisweilen deutlich langsamer ist. Andere Deutungen gehen eher in die Richtung eines Reifeprozesses, was sich durch eine verstärkte Konzentration auf musikalische Details stützen ließe. Auch wenn sie nun manchmal den alten Schwung vermissen lässt: Auf lyrischer Ebene bleibt die World/Inferno Friendship Society gewohnt rebellisch. In dem Song „Canonize Phil K. Dick, OK“ heißt es etwa: „You can’t change the system from within/the system changes you“ – also: Man kann das System nicht von innen ändern, vielmehr verändert das System jene, die es von innen verändern wollen.

Inwieweit sich die neue musikalische Reife der Formation auch auf ihre Bühnenshow niederschlägt, bleibt abzuwarten. Auf der Bühne entwickelten die wechselnden Musiker um Jack Terricloth an guten Abenden jedenfalls immer schon eine ganz beträchtliche Dynamik. Das Exzessive, das Musiker und Musik im- und explizit verhandeln, war auch ganz substanziell immer Teil des Geschehens.

Ihre Kraft aber gewannen Auftritte der World/Inferno Friendship Society weniger aus den größeren Rotweinmengen, die Terricloth während der energetischen Auftritte so verputzt. Hier ist ein Konzert nie nur ein Konzert, viel eher schon eine Party, bei der die einen die Musik machen, sich die Differenz zwischen Bühne und Publikum aber weitgehend auflöst, ganz so, wie Hardcore das als Forderung zwar postuliert, aber nur selten eingelöst hatte. Von den Anzügen und Korsetts, vom Kajal-Make-up über die Brillantine sehen diese Leute aus wie die smarten Vertreter einer sexy Punk-Boheme, die weiß: „Only anarchists are pretty“. Und Terricloth ist ja nicht nur ein Lebemann, sondern kann ein unwiderstehlicher Conferencier sein.

Das Beste daran ist aber, dass die Musik der Vaudeville-Punks bei allem Frohsinn und Witz ein Gift besitzt, einen fast schon zynischen Unterton, der allerdings nur scheinbar in einem Widerspruch zu ihrer überbordenden Vitalität steht. Als Anarchisten hat diese Gesellschaft ein klares Bewusstsein von den Grenzen, die ihnen fremde Willkür setzt. Dem widersetzen sie sich mit einem natürlich höchst romantischen Trotz, ein Lachen auf den Lippen.

■ Do, 18. 8., 21.30 Uhr, Hafenklang, Große Elbstraße 84