„Ostalgie gibt es nicht mehr“

DDR Klaus Koch gründete sein Label Buschfunk für Musik aus Ostdeutschland direkt nach dem Mauerfall – als sich keine andere Plattenfirma dafür interessierte. Nun feiert er dessen Geburtstag. Ein Gespräch über 25 Jahre erfolgreiche Graswurzelrevolution

■ Klaus Koch: 60 Jahre alt, studierte Kulturtheorie und Ästhetik in Leipzig, veranstaltete bereits als 16-Jähriger Konzerte mit Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs. Am 13. 12. 1989 machte er sich selbstständig mit seinem Label Buschfunk und veröffentlicht und vertreibt seitdem alte und neue Musik von Bands und Musikern wie Gerhard Schöne, Pankow, der Renft Combo und anderen.

■ Der Geburtstag: „25 Jahre Buschfunk“ mit Buschfunk Blues Band (u. a. Frank Diez und Uli Gumpert) und den SolistInnen Pascal von Wroblewsky, Uschi Brüning, Axel Prahl, Danny Dziuk u. v. a. Heute, 12. 12., 19.30 Uhr, Postbahnhof

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Koch, der 25. Jahrestag des Mauerfalls wurde am Brandenburger Tor mit viel Musik gefeiert. Mal angenommen, jemand wäre auf die Idee gekommen, Sie das Konzert kuratieren zu lassen …

Klaus Koch: Oh, das ist eine schöne Idee.

Wer hätte gespielt, wenn Sie die Künstler hätten aussuchen dürfen?

Gerhard Schöne sollte ja am Nachmittag spielen, der war angefragt. Aber er hatte keine Lust. (lacht) Hat Lindenberg gespielt?

Ja.

Das war keine schlechte Wahl. Ich glaube, Clueso und Silly sind auch aufgetreten. An der Stelle haben sie nicht viel verkehrt gemacht.

Und ansonsten?

Man muss ja nicht immer alles besser wissen. (lacht begeistert)

Ihre Firma Buschfunk feiert 25-jähriges Bestehen. Haben Sie in diesem Vierteljahrhundert deutsch-deutsche Geschichte geschrieben?

Die Geschichte von Buschfunk hat zum Glück noch einen offenen Ausgang. Aber deutsch-deutsche Geschichte? Nein, das glaube ich nicht. Dazu haben sich in den vergangenen 25 Jahren die osmotischen Bedingungen nicht entscheidend genug verbessert. Kulturell gibt es immer noch eine Einbahnstraße von West nach Ost. Buschfunk, das ist eine ostdeutsche Geschichte mit einigen Ausnahmen wie den wunderbaren Alben von Danny Dziuk. Wenn Dziuks Küche eine neue Platte rausbringt, dann wird die – im Gegensatz zu anderen Buschfunk-Veröffentlichungen – ausnahmsweise sogar im Rolling Stone gelobt.

Dann gibt es noch den Schauspieler Axel Prahl, der bei Ihnen herauskommt. Der ist allerdings ausgerechnet ein Westler, der von den meisten für einen Ostler gehalten wird.

Prahl ist aber auch jemand, der wirkliches Wissen über den Osten hat, durch seine Verwandtschaft und Theaterkollegen. Mitch Ryder – das US-amerikanische Rockurgestein – ist dann unser Exot. Seine drei Studioalben bei Buschfunk halte ich für seine besten überhaupt. Einen Umstand, den in Amerika nur noch keiner bemerkt hat.

Schon am 13. Dezember 1989 haben Sie – damals noch beim DDR-Ministerium für Kultur – den Antrag eingereicht, das „Büro für zeitgenössische Kunst – Buschfunk Produktion“ eröffnen zu dürfen. Haben Sie je eine Antwort bekommen?

Nein. Aber ich war heilfroh, dass keine Antwort kam. Was für eine Antwort hätte es denn geben können? Wenn die jetzt „Nein danke“ gesagt hätten? Oder „Ja, aber“. Den Antrag zu stellen, das war zwar erst einmal Demut gegenüber den ja noch existierenden Behörden. Aber der Antrag hatte auch die Chance, indem es keine Antwort gab, zum Freibrief zu werden.

Den sie weidlich ausgenutzt haben.

Witzigerweise habe ich dann für mein erstes großes Projekt 1990 noch einen Antrag beim Kulturministerium gestellt. Ich habe ostdeutsche Theater, Fotografen , Rockmusik, Kabarett und Jazz für ein vierwöchiges Festival in die Schweiz gebracht. Das wurde von den dortigen Behörden gefördert. Also habe ich auch eine Förderung von der DDR beantragt. Die wurde auch zuerst genehmigt, aber dann war doch kein Geld da. Am Ende habe ich, der noch nie selbst geflogen war, der stellvertretenden Ministerin den Flug in die Schweiz zahlen müssen – weil die Schweizer sagten, wenn die schon kein Geld geben, sollen sie wenigstens auftauchen. (lacht schon wieder)

Hätten Sie gedacht, dass Buschfunk mal 25 Jahre alt wird?

Nein, auf keinen Fall. Ich denke heute ja nicht mal fünf Jahre voraus. Das kann man in der Branche auch gar nicht. Alles hat sich langsam, aber immer aus sich selbst entwickelt. Am Anfang waren doch alle verunsichert, auch die Künstler natürlich. Zu Recht, die haben ja ein Jahr lang erst einmal gar nicht mehr auftreten können.

Sie sind Plattenlabel, Vertrieb, Künstleragentur, Verlag, Mailorder. Was ist Buschfunk eigentlich?

Das alles. Genau das ist ja unsere Stärke. Es ist natürlich auch viel Arbeit und Kleinkram. Es ist aber genau so entstanden, weil wir von vornherein, wenn man so will, außen vor waren. Weil keine Plattenfirma die Ostkünstler haben wollte, haben wir die CDs und damals noch LPs eben selbst hergestellt und bei Konzerten direkt verkauft. Weil wir ahnten, dass wir für die neuen Medien eine eher zu vernachlässigende Randerscheinung sein werden, haben wir gleich auf Mundpropaganda gesetzt. Schlussendlich hat das Buschfunk-Prinzip, das damals aus der Not geboren wurde, etwas vorweggenommen, was heute an amerikanischen Universitäten als Mouth-to-Mouth-Marketing gelehrt wird. Den eigenen Vertrieb haben wir aufgebaut, weil kein etablierter Vertrieb unsere Künstler kannte. Wir sind mit einem Gebrauchtwagen durch die Gegend gefahren und haben die Schallplattenläden einzeln abgeklappert.

Aber macht auch ein eigener Vertrieb noch Sinn heute?

Das sind drei Arbeitsplätze, und die sollte man erhalten, solange es geht. Klar, mittlerweile könnte ich auch beispielsweise zu Indigo Hamburg oder einem anderen Vertrieb gehen, die Buschfunk-Platten darüber vertreiben lassen, gemütlich zu Hause sitzen und auf den monatlichen Scheck warten. Aber es ist besser, die Kontrolle zu behalten: Ich will nicht warten, dass mir jemand sagt, dass eine Platte nicht gelaufen ist. Ich will lieber selber wissen, warum die nicht gelaufen ist. Unser Geschäft geht eh anders als bei anderen: Wir haben normalerweise Auflagen zwischen 1.000 und 3.000 Stück, die können also gar nicht kostendeckend sein. Aber die Platten von Gundermann, Gerhard Schöne oder anderen werden immer weiter verkauft. Von „Die sieben Gaben“ von Gerhard Schöne, 1992 erschienen, verkaufe ich immer noch jedes Jahr 1.000 Stück im Hochpreis. Unsere CDs werden nicht nach sechs Monaten für 5,90 Euro verramscht. Das behalten wir auch bei. Pech gehabt, lieber Konsument: Die Axel-Prahl-CDs werden auf sehr lange Zeit nicht unter 15 Euro zu haben sein.

Hat sich Buschfunk eine Nische geschaffen?

Eine Nische würde ich das nicht nennen. Erstens, weil die Nische ziemlich groß ist. Und zweitens klingt Nische immer danach, als wenn man sich in der Nische verkriechen würde.

Also anders: Existiert Buschfunk in einer Art Parallelgesellschaft?

Ja, das schon eher. (lacht wieder mal) Aber lassen sie uns was Positives suchen, lassen sie es uns eine Oase nennen.

Die Bewohner dieser Oase werden aber immer älter.

Ja, das stimmt schon. Buschfunk hat so etwas wie einen Generationenvertrag abgeschlossen. Wir sind mit einer Generation groß geworden – und wir werden uns mit dieser Generation wieder verabschieden. Früher haben wir von einer neuen Gerhard-Schöne-Platte 30.000 verkauft, heute noch ein Drittel. Andererseits kommen auch junge Leute dazu und entdecken in unserem Programm etwas. Vor zehn Jahren habe ich gedacht, wir müssten aufhören mit den Tribut-Konzerten für Gundermann …

Für die 1998 verstorbene Liedermacher-Ikone Gerhard Gundermann …

Da hatte ich das Gefühl, die Fans können die drei Stunden bei der Randgruppencombo nicht mehr durchstehen, sie sind zu alt. Mittlerweile wird das Publikum immer jünger, die kennen Gundermann gar nicht live. Sie haben ihn bei ihren Eltern gehört oder Gerhard Schöne haben sie im Kindergarten entdeckt.

Sie haben mal gesagt, es ging bei Buschfunk darum, der „kulturellen Kolonisierung“ etwas entgegenzusetzen.

Ich würde es heute nicht mehr so formulieren, weil daraus ein gewisser Frust spricht. Dennoch spiegelte es den Sachverhalt gut wider, und ich würde immer noch sagen, dass wir hier für eine Form kultureller Selbstbehauptung arbeiten. Aber zugegeben, die Infiltration des Ostens in den Westen ist heute spürbarer. Viele spannende Dinge kommen heute aus dem Osten, Kraftklub, Clueso, Rammstein. Das liegt auch daran, dass aus einer gesellschaftlichen Schieflage heraus oft die interessanteren Fragen gestellt werden können.

Verkauft Buschfunk nicht eigentlich Ostalgie?

Ostalgie gibt es doch gar nicht mehr. Wenn die Puhdys oder City heute unterwegs sind, dann ist das auch nichts anderes, als wenn eine westdeutsche Oldies-Band auf Tour geht. Nur dass die Lords lange nicht so viele Zuschauer ziehen oder Frumpy längst Vergangenheit ist. Sicherlich war Buschfunk auch lange im Identitätsstiftungsgetaumel. Mittlerweile bin ich schon froh, wenn wir unterhaltend sind im Sinne von Walter Benjamin, dass wir Fragen stellen und ein wenig Unruhe stiften in den Köpfen.