TAZ-ADVENTSKALENDER: SCHÖNFLIESSER STRASSE 12
: Der älteste Bäcker der Stadt

12. DEZEMBER Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man täglich eine nummerierte Tür öffnen – und sich überraschen lassen

„Heute 15 Herzen mehr, helle und dunkle“, sagt Lars Siebert zu seinem Angestellten. Der bestreicht handgroße Lebkuchenherzen mit Schokolade. Siebert ist schon seit neun Stunden wach, sein Tag beginnt immer um halb eins morgens und endet, wenn alle Kunden bedient sind. Und davon sind viele da, an diesem lausig kalten Dezembermorgen stehen sogar noch neun auf der Straße Schlange. 1906 backte Lars Sieberts Urgroßvater in der Schönfließer Straße 12 die ersten Brötchen, damit ist sie die älteste Bäckerei Berlins. Damals galt Prenzlauer Berg als Arbeiterviertel, heute folgt auf dem Weg zur Bäckerei ein Kindergarten auf jede Boutique.

„Das Rezept des Stollens ist noch von meinen Urgroßvater“, erzählt Siebert. Die Stollen kommen in den Ofen, danach werden die verbrannten Rosinen abgepult, damit nichts bitter schmeckt. Dann wird er rundherum gebuttert, gezuckert und muss abkühlen. Puderzucker drüber, und dann erst ist er fertig. „Das ist der Unterschied zwischen uns und einem maschinell betriebenen Bäcker“, sagt Siebert, „wir machen alles mit der Hand“. Die Zutaten kauft er möglichst aus regionaler Herkunft. Das Mehl zum Beispiel ist aus Brandenburg.

Es gebe auch noch andere traditionelle Bäckereien in Berlin, aber man finde sie oft nicht, meint er. Das Problem sei, dass jeder, der tiefgekühlte Brötchen aufbäckt, vorne auf seinen Laden „Bäcker“ schreiben darf. An Kundschaft fehlt es ihm nicht. An vollen Tagen gehen 10.000 Brötchen durch seinen Ofen, an weniger guten immerhin 3.000. Nicht nur Kiezbewohner kommen zu ihm, sondern auch solche, die weiter rausgezogen sind, decken sich häufig noch einmal in der Woche bei ihm ein. Im Sommer hing sogar ein Zettel in der Bäckerei, der ihr ganz besondere Ehre verlieh: Jemand, der nach Rostock gezogen war, bat jeden, der in die Richtung fuhr, ihm Brötchen und Brot von der Bäckerei Siebert mitzubringen. Er sei auch bereit, doppelt und dreifach zu zahlen.

In einer ruhigeren Ecke der Backstube streicht ein Bäcker helle Creme auf einer Torte glatt. Sie hat die Form eines Hauses und wird nachher noch mit rotem und blauem Marzipan überzogen – ein Firmenlogo. „Solche Aufträge machen wir nicht so gern. An einer Hochzeitstorte arbeiten zwei Leute acht Stunden, das kann man sich kaum bezahlen lassen“, sagt Siebert. Aber manchmal mache man es eben doch. Aus Spaß. ANNA BORDEL