WAHLKAMPF IM KIEZ
: Der Kreuzberger

Wir sind auf „Patrouille“. Die NPD will plakatieren

„Hier is ja richtig toll nachts!“ Meine Freunde aus dem Ostteil der Stadt sprechen aus, was ich schon lange wusste: Kreuzberg bei Nacht ist immer eine Reise wert. Am Wochenende sowieso. Und die Oranienstraße ist natürlich der Mittelpunkt des kleinen Kreuzberger Universums.

Selbst die Touristen seien hier angenehmer, so befinden die Besucher aus dem Osten. Angenehmer bedeutet in diesem Fall jünger, französischer und vor allem ansprechbarer. Dabei sind wir nicht mal zum Vergnügen hier, sondern auf „Patrouille“. Die NPD will plakatieren, eventuell auch in meinem Heimatbezirk, und wir wollen das irgendwie nicht, auch wenn ich bezweifle, dass es Menschen gibt, die aufgrund eines Wahlplakats eine Entscheidung fällen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat ergeben, dass ein Großteil der Wähler glaubt, andere Menschen ließen sich von Wahlwerbespots im Fernsehen beeinflussen, Sie selber jedoch seien von TV-Spots nicht tangiert. So denkt jeder, er wäre etwas Besseres, und bevor sich doch noch jemand beeinflussen lässt, verhindern wir lieber, dass es überhaupt dazu kommt. Jedenfalls sitzen wir vor einem spontan eröffneten Buchladen auf der Treppe und harren der Dinge, die da kommen.

Ich nehme mir einen Stuhl aus dem Sortiment des Buchhändlers, pflanze mich an die Treppe und sitze nun weitaus elitärer als der Rest der faulen Bande. Doch der Buchhändler schreitet ein: Er bittet mich aufzustehen und den Stuhl zurückzugeben. Kurz darauf klärt ihn ein Bekannter meines Vaters über meine Kreuzberger Herkunft auf. Der Buchhändler eilt zurück, reicht mir den Stuhl und entschuldigt sich mit der Bemerkung: „Ich dachte, ihr seid Touristen!“

Nicht nur die Touristen sind in Kreuzberg anders, auch die Ureinwohner haben, wie man sieht, ihre sympathischen Eigenarten.

JURI STERNBURG