„Norddeutsche kochen alles zu Tode“

Slow Food, den Verein, der sich für bewusstes Genießen und den Erhalt regionaler Geschmacksvielfalt einsetzt, gibt es auch in Bremen. Vorsitzender ist natürlich ein Süddeutscher. Viel gebe es nicht, was sich hier zu retten lohnt, räumt Gernot Riedl ein. Schuld seien das miese Klima und der Calvinismus

GERNOT RIEDL, 56, ist Vorsitzender von Slow Food Bremen. Sein Geld verdient er mit dem Handel von Ökoprodukten. Davor war er Chemiefacharbeiter, Diakon und Erzieher.

Interview: EIKEN BRUHN

Sie stammen aus dem Odenwald – was fällt ihnen zum norddeutschen Essen ein?

Gernot Riedl: Es ist einfach gestrickt. Das kann man sich historisch erklären – Norddeutschland ist ja evangelisch, beziehungsweise Bremen calvinistisch. Und nach der calvinistischen Lehre hat Essen und Trinken mehr mit dem Füllen des Magens zu tun als mit Genuss. „Schaffe und erwirb“ ist die Maxime. Alles, was dem nicht unter geordnet werden kann, ist des Teufels. Das ist in katholischen Gegenden anders.

Woran zeigt sich das?

Na, gucken Sie doch mal, wie die hier mit Lebensmitteln umgehen! Ich kenne Leute, die kaufen sich keine Kräuter, weil sie das für überflüssig halten. Für den Salat gibt’s dann Essig, Öl, Zwiebel, Salz, Pfeffer, Zack. Getreu dem Motto: „Was soll ich noch ’n Euro investieren, um so ’ne Petersilie ran zu werfen?“

Und die Gerichte?

Die sind eben schlicht, aber sicherlich war Norddeutschland auch von Landschaft und Klima nicht gerade gesegnet, da hat die Natur nicht viel hergegeben.

Slow Food hat sich die Rettung alter Rezepte auf die Fahnen geschrieben. Wofür wollen Sie sich denn hier einsetzen?

Das ist nicht so ganz einfach, auch weil die Süddeutschen ihre Traditionen in der Küche viel mehr pflegen als die Leute hier. Ich habe mal mit dem stellvertretenden Chef vom Museumsdorf Cloppenburg konferiert und ihm gesagt, „man muss die verlorenen Schätze heben“. Da hat der mich ganz komisch angeguckt und gesagt, „wat woll ’n se denn hier heben? Hier war doch nix.“

Wirklich?

Nee, nix. Der hat das an einem Beispiel deutlich gemacht, das finde ich ganz schön. Wenn du in Norddeutschland auf einen traditionellen Bauernhof gehst, was siehst du als erstes? Einen riesengroßen Misthaufen. Über den ist man weggestiegen und wo kam man dann hin? In die Scheune. Was war in der Scheune? Das Vieh, darüber das Heu. Also alles, was zählbar war und einen Wert darstellte. Als letztes kam man in so ein kleines Kabuff, das waren die Privaträume und die Küche. Jetzt geh mal nach Süddeutschland. Da siehst du als erstes ein Haus mit einem Riesenbalkon voll mit Blumen, und dann gehst du rein und bist erst mal im Flur oder gleich schon in der Küche. Das Viehzeug steht irgendwo hinten am Hang. Und der Misthaufen ist möglichst weit weg.

Und was retten Sie dann?

Da gibt es schon ein paar Dinge. Muss man sogar, hier greift ja auch diese Fastfood-Küche um sich und die traditionellen Gerichte gehen verloren. Zum Beispiel der Scherkohl, der war ja fast ganz ausgestorben und durch unsere Aktivitäten hat er eine Renaissance erlebt.

Aber warum sollte man Labskaus oder Knipp retten wollen? So gut schmeckt das doch nicht.

Das liegt daran, dass die Qualität, in der das hergestellt wird, so unsäglich schlecht ist. Den Knipp zum Beispiel, den kann man auch in leckeren Variationen machen. Mein Nachbar, der macht da immer Geflügelfleisch mit rein, dann ist das nicht so fett und triefig. Aber Knipp wird eben oft als Abfallverwertung genommen, wo der ganze fette Kram reingeschmissen wird, den man in eine normale Wurst nicht reingeben darf.

Und Grünkohl? Als Tradition ganz schön, aber auch kein Feinschmeckermahl.

Aber nur weil der falsch zubereitet wird. Das geht auch schmackhafter. Frag mich nicht, warum die Norddeutschen immer alles zu Tode kochen müssen.

Wie sieht es mit Nachtischen aus – außer roter Grütze?

Alles mit Buchweizen. Das ist das erste Getreide, was auf einem gerade entwässerten Moorboden wächst. Die Gerichte sind aber auch alle verschwunden, das gibt vielleicht noch mal einen Pfannkuchen im Museumsdorf.

Buchweizen, naja…

Kann man lecker zubereiten. Aber wir müssen uns das ja nicht mehr alles antun, wir haben ja heute überall Gewächshäuser mit Paprika und Tomaten. Aber während sich die Produktion verändert hat, ist die Entwicklung der Küche nicht mitgegangen. Warum man früher so gekocht hat, ist ja verständlich, da gab’s nix anderes. Und später hat sich nix entwickelt, weil’s den Leuten egal war, da bist du schon wieder beim Calvinismus.

Und heute? Wie viele der Bremer Slow Food-Mitglieder kommen denn aus dem Norden?

Da sind schon viele Süddeutsche dabei, das stimmt.

Na also.

Aber guck dir doch mal die Gastronomie an, das ist unendlich viel Müll, was du da kriegen kannst. Das sind unwahrscheinlich viele Fertigprodukte, aber die Leute wollen ja immer billig essen. Die machen doch nur noch den Salat selbst in den Restaurants.

Wie viel muss man in Bremen für gutes Essen ausgeben?

15 Euro. Aber selbst das ist keine Gewähr. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber ich habe neulich Spargel gegessen mit einem Wiener Schnitzel. Für 20 Euro und dreißig. Da waren fünf oder sechs Stangen Spargel auf dem Teller, die Kartoffeln gnadenlos schlecht, die Hollandaise garantiert aus der Tüte und das Schnitzel sehr übersichtlich. Ich geh deshalb auch gar nicht mehr so oft essen. Gutes Essen kann ich mir nämlich auch nicht jeden Tag leisten. Das ist nicht so wie in Süddeutschland, wo es überall preiswerte und gute Restaurants gibt. Oder Biergärten.

Und nicht alles mit Käse überbacken wird.

Das gibt so eine Internationalisierung der Küche, dazu gehört, alles mit Käse zu überbacken. Das kriegt man ja auch schön fertig aus dem Handel. Da fährst du in die Metro und kaufst dein gefülltes paniertes Schnitzel.

Und warum gibt es immer nur Sahnesoßen? Mangelnde Kreativität?

Ja, das mag sein. Ist ja auch schön einfach. Sahne rüber und fertig. Liegt aber auch daran, dass der Trend im Geschmack zum Süßen geht, weg von den Exoten und den ausgefallenen Sachen. Selbst wenn man die kriegen kann, isst das ja niemand mehr. So wie saures Lüngerl.

Bitte?

Saure Lunge, das ist ein typisches Gericht in Bayern oder auch Niere. Beim Fleisch geht der Trend zum Kurzgebratenen. Das liegt auch daran, dass die Familien kleiner werden. Was willst du einen Zweikilo-Braten machen, wenn nur einer oder zwei am Tisch sitzen. Also Schnitzel, Schnitzel und noch mal Schnitzel. Oder Putensteak.

Wie erklären sie sich die Liebe zum Mozzarella?

Ein wunderbares Beispiel. Der schmeckt eben so schön neutral, das wollen die Leute. Der Industrie kommt das natürlich entgegen, die kann mit der unsäglichsten Qualität den Leuten was verhökern. Mit einem Italiener kann man stundenlang über den besten Mozzarella diskutieren, der wird dort ja auch aus Büffelmilch hergestellt. Kuhmozzarella fasst da niemand an.

Und was essen Sie heute?

Heute gibt es bei mir Basmatireis mit Schmorgurken. Ganz klassisch gekocht, da habe ich mal Lust zu. Man kann das auch indisch kochen mit Curry, aber ich mach das jetzt mit Sahne und Hackfleisch. Dazu brauchst du aber eine passende Gurke, mit diesen Schlangengurken geht das nicht so gut, die sind zu wässrig. Am besten nimmt man eine Aziagurke, die hat eine schöne Struktur, gibt’s aber kaum zu kaufen. Eine Landgurke geht auch, da muss man die Kerne rausnehmen, damit nur das feste Fruchtfleisch übrig bleibt.

Und wie bereiten Sie das zu?

Zwiebel anschwitzen, zusammen mit dem Hack. Pfeffer, Salz, etwas Gurkenwasser von den sauren Gurken dran gekippt, Lorbeerblatt natürlich. Die Gurken in Würfel geschnitten, bei niedriger Temperatur Viertelstunde mit geschmort. Dann Crème fraiche plus ein bischen süße Sahne, zum Schluss ein Bund Dill obendrauf. Fünf Minuten drin ziehen lassen, nicht kochen, sonst verliert Dill den Geschmack. Dazu ein Bier.