Blind Dating (5)

Treffen mit Candela P.

Neulich bei den Simpsons: Marge leidet unter Amnesie, verlässt Homer und nimmt an einem Speed-Dating-Treffen teil. Sie fragt die Leiterin des Treffens, ob diese ihren Mann auch über ein Dating-Treffen kennen gelernt habe. „Natürlich nicht!“, schreit die. „Ich habe ihn über Freunde kennen gelernt, wie das jeder normale Mensch tut!“

Candela fand die Anekdote nicht so witzig. Überhaupt wurde schnell klar, dass das nichts werden würde mit uns. Deutlich wurde aber auch, dass wir kulturell auf verschiedenen Schienen fahren. Allein ihre Art, an der Theke dieser kleinen Bar in Mitte zu sitzen. Sie saß da wie eine glückliche Schülerin. Unbedarft. Für einen Moment löste ihre völlige Unkenntnis subkultureller Stilcodes den allergrößten Reiz aus, aber auch das verging. Wir nahmen ein Getränk und unterhielten uns über die Nachteile der Großstadt, bevor ich sie zu ihrer U-Bahn brachte und mit einer anderen Nummer nach Hause fuhr. Ein wenig betäubt von Enttäuschung.

Ich dachte über die Kritik nach, dass Online-Dating eine Form der Überanpassung an Marktgesetze sei, weil es darum ginge, sein Profil zu schärfen, besser zu sein als die Konkurrenz und das eigene Beuteschema als absolut zu setzen. Ich fragte mich, ob es in der Realität nicht längst genauso läuft. Und ob es nicht immer so gewesen ist. Mentaler Kapitalismus, nannte das mal jemand Kluges. Ich dachte an die Vier-Sekunden-Theorie, nach der man bereits in den ersten vier Sekunden entscheidet, ob man jemanden attraktiv findet oder nicht. Mit Tiefgang, innerer Schönheit und sozialen, geistigen Werten kann das alles nichts zu tun haben. Eine Amnesie kann nicht schaden, dachte ich. Meine Station hatte ich bereits verpasst. RENÉ HAMANN