„Wir haben eine große Verpflichtung“

KLIMAWANDEL In seiner Lecture Performance „2071“ warnt der renommierte britische Klimaforscher Chris Rapley vor den Folgen der globalen Erwärmung. Ein Gespräch über schwierige Themen und Verantwortung

■ 67, war geschäftsführender Direktor des International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP), Direktor des britischen Polarforschungsprogramms sowie Direktor des Londoner Science Museum. Derzeit ist er Professor für Klimawissenschaft am Department of Earth Sciences des University College London.

INTERVIEW KATRIN ULLMANN

taz: Herr Rapley, Sie sind Professor für Klimawissenschaften am University College London und Vorsitzender des London Climate Change Partnership. Ist es deprimierend, über den Klimawandel zu forschen?

Chris Rapley: Nein. Klimawandel ist kein aussichtsloses Thema. Problematisch ist oft nur der Kontext, in dem dieses Thema im öffentlichen Diskurs verhandelt wird. Es wird häufig als etwas sehr Beängstigendes dargestellt und als etwas, bei dem der Einzelne handlungsunfähig ist. Wenn man sich sorgfältig mit dem Thema auseinandersetzt, zeigt sich, wo und wie wir damit umgehen können.

Wenn wir jetzt nicht handeln, wie wird die Welt und ihr Klima 2071 aussehen?

Wenn wir so weitermachen wie bisher und vorausgesetzt, die wissenschaftlichen Klimamodellrechnungen sind richtig – wovon ich überzeugt bin – , dann könnte wir uns 2071 in einer ernsthaften Lage befinden. Vor allem wenn wir an die drei bis vier Grad globale Erwärmung denken. Das wird vermutlich nicht bis 2071 der Fall sein, aber bis zum Ende des Jahrhunderts und darüber hinaus. Diese Erwärmung würde das Weltklima in einer Art und Weise verändern, mit der die Menschheit kaum noch zurechtkommt.

Wer ist Ihrer Meinung nach an dieser Entwicklung schuld?

Es ist nicht besonders hilfreich, nach Schuldigen zu suchen. Der Klimawandel wurde nicht absichtlich herbeigeführt. Natürlich sind wir alle Teil des Problems, weil wir alle von dieser Welt voller Kohlenstoff abhängig sind. Andererseits war die Gewinnung von günstigem und leicht zugänglichem Treibstoff auf Kohlenstoffbasis auch ein großartiger Vorteil. Seine Verwendung machte viele von uns zu den wohlhabendsten Menschen überhaupt. Andererseits schadet das dabei freigesetzte CO2 unabsichtlich unsere Erdatmosphäre. Es geht dabei nicht um die Suche nach einem Schuldigen …

sondern?

Es geht darum, einen Weg zu finden, der uns in eine positive Richtung führt, und herauszufinden, wie wir alternative Technologien und Methoden entwickeln können, die unser Wohlstandsniveau aufrechterhalten, ohne unser Klima in Mitleidenschaft zu ziehen. In der Technologie müssen wir umdenken und alle Möglichkeiten mitnehmen, die wir haben. Aber auch dieser Weg kann nur Erfolg haben, wenn die Regierungen in deren Entwicklung investieren.

Kann ein Einzelner den Klimawandel aufhalten?

Das Thema Klimawandel wird leicht zu einer Art Tyrannei, in der jeder auf den anderen zeigt und ihm daran die Schuld gibt – etwa weil er ein großes Auto fährt, oder ein Vielflieger ist. Dieses gesellschaftliche Verhalten beunruhigt mich sehr. Jeder hat drei Lebensbereiche, in denen er Dinge bewirken kann. In seinem persönlichen Bereich kann er selbst bestimmt und vorbildlich agieren und mit kleinen Dingen etwas bewirken, bei seiner Arbeit kann er zumindest versuchen, Einfluss zu nehmen, wie das jeweilige Unternehmen oder die jeweilige Organisation mit dem Thema umgeht. Und im öffentlichen Lebensbereich schließlich kann jeder politischen Druck ausüben und seine Meinung kund tun.

Was schulden wir den nachfolgenden Generationen?

Das ist eine große moralische und auch wirtschaftliche Frage. Ich habe den Eindruck, dass wir ihnen sehr viel schulden. Ich persönlich – ich spreche jetzt nicht als Wissenschaftler, sondern als aufgeklärter Bürger und als Großvater – finde, wir haben eine große Verpflichtung, diese Welt in einem möglichst guten Zustand für die nachfolgenden Generationen zu erhalten.

Nun haben Sie mit der Regisseurin Katie Mitchell eine Performance erarbeitet. Was macht die Theaterarbeit interessant?

Wir lernten uns im April über einen Freund kennen und beschlossen, dass wir gemeinsam zum Thema Klimawandel arbeiten wollen. Als Wissenschaftler interessiert es mich, mit Menschen zu kommunizieren. Ich empfinde es auch als meine Verpflichtung, aber bei der Wortwahl muss man immer vorsichtig sein. Ich habe festgestellt, dass es nicht sehr nützlich war, wie die Wissenschaft in den vergangenen Jahren über den Klimawandel kommuniziert hat. Das hat viele negative Reaktionen hervorgebracht. Also suche ich nach anderen Wegen, darüber zu sprechen.

Warum glauben Sie, ist das Thema fürs Theater relevant?

Im Theater besteht – im Gegensatz zur Situation bei einem wissenschaftlichen Vortrag – eine ganz andere Verabredung zwischen Publikum und Performer. Hier ist es möglich, die Inhalte emotionaler und dramatischer zu erzählen. Das Publikum wiederum hat die Möglichkeit, die Geschichte in einer neuen Weise zu hören und zwar in einer, die mit ihm selbst zu tun hat. Die Performance gibt den Zuschauern Hoffnung und auch eine Aufgabe. Viele Menschen fühlen sich nach der Vorstellung tatsächlich besser gewappnet – sei es für Diskussionen oder im Nachdenken über ihr eigenes Handeln.

Ist Ihre Lecture Performance „2071“ also vor allem lehrreich?

Wofür gibt es Theater? Soll es das ein oder andere wunderbare Beispiel dramatischer Kunst zeigen oder soll es ein gesellschaftliches Forum sein, wo – in verschiedenster Art und Weise – schwerwiegende Themen verhandelt werden können? Wie der Diskurs zwischen Publikum und Performer hergestellt wird, kann ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen haben. Unsere Lecture Performance ist eine von davon.

■ Mi, 17. 12. und Do, 18. 12., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Hamburg